Das Archiv

Das Künstlerhausarchiv ist ein natürlich gewachsener Bestand, entstanden als Kanzleiablage; es beinhaltet aber auch mehrere Nachlässe, eine Sammlung von Gegenständen zur Hausgeschichte sowie Reste der ehemaligen Künstlerhausbibliothek. Das Archiv erfüllt neben der gesetzlich vorgeschriebenen Aufbewahrung der Buchhaltung über die festgesetzte Dauer (gegenwärtig zum Großteil im Künstlerhaus selbst) durch seine reichhaltigen Bestände aus anderthalb Jahrhunderten eine bedeutende kulturpolitische Funktion. Es ist das älteste und größte Privatarchiv Österreichs zur Kunstgeschichte Wiens und des Landes überhaupt.

Das Künstlerhausarchiv sammelt, sichert und bewahrt wichtiges Kulturgut für kommende Generationen; es macht es aber auch der interessierten Öffentlichkeit zugänglich. Auskünfte wurden und werden nicht nur den hausinternen Funktionären, den Ausschüssen und Kommissionen erteilt, sondern auch der Presse, den Galerien, dem Kunsthandel, den Sammlern und den Behörden, den Kunsthistorikern und Studenten; in der letzten Zeit verstärkt auch den Anwälten im Rahmen der sogenannten Provenienzforschung anlässlich ihrer Recherchen nach den seinerzeitigen Besitzern fraglicher Kunstwerke. Besonders oft werden Angaben über die einst im Künstlerhaus ausgestellt gewesenen Kunstwerke erwünscht, über deren Schöpfer, deren Käufer, Besitzer oder Leihgeber. Detailauskünfte werden auch dem Finanzamt, der Sozialversicherung, den Gerichten, dem Bundesdenkmalamt oder den Ministerien erteilt. Heute hochaktuell geworden ist auch die Forschung nach dem Copyright; kein Massenmedium mehr traut sich über einen Künstler zu berichten und Reproduktionen seiner Werke zu publizieren, ohne vorher die Frage der Rechte geklärt zu haben.

Ein Archiv bzw. eigene Aktenablagen besaßen bereits die Vorgänger der im Künstlerhaus residierenden Genossenschaft, sowohl der “Albrecht Dürer Verein” als auch die “Eintracht”. Natürlich waren diese Bestände noch sehr klein, umfassten nur wenige Mappen und einige Faszikel, aber sie waren da und wurden 1868 in das neue Künstlerhaus mitgenommen. Noch heute füllen sie mit dem “Patriotischen Verein bildender Künstler” des Jahres 1859 drei Archivkartons. Die erste protokollarisch festgehaltene Notiz über ein Genossenschaftsarchiv findet sich drei Jahre nach dem Bezug des Künstlerhauses: am 3. März 1871 wurde beschlossen, alle Kataloge, sowohl des Hauses, der “Lizitationen”, als auch des “Österreichischen Kunstvereins” von nun an für das Archiv gewissenhaft zu sammeln. Am 27. November 1873 wurde dieser Beschluss erweitert: die vorhandenen Archivbestände waren zu ordnen und ein Index sollte angelegt werden. Diese Arbeit führte im Laufe des Jahres 1874 Sekretär Karl B. Walz durch; die von ihm begonnene Registratur blieb bis zum Zweiten Weltkrieg im Gebrauch.1

1875 sprach man bereits von ersten Skartierungen: auf Vorschlag des Schriftführers wurde am 29. Dezember 1875 beschlossen, alle bis dahin aufbewahrten Wahlzettel und Wahlzählungen, mit Ausnahme der letzten zwei Jahre, zu vernichten. Elf Jahre später, am 27. Oktober 1886 wurden bereits 786 kg(!) Altpapier zum Zerstampfen in eine Papierfabrik abgeführt, wahrscheinlich Kassabelege, Anmeldungen der Kunstwerke zu Ausstellungen und als überflüssig angesehene Ausstellungskorrespondenz. Von einer weiteren großen Skartierung wird erst wieder 1928 berichtet: im Juni dieses Jahres wurden zwei Tonnen(!) Papier, darunter Drucksorten von den Gschnasfesten, den Schützenkränzchen sowie alte Kataloge zu je 6 Groschen pro Kilogramm einer Altpapiersammlung verkauft.2 Weitere spektakuläre Skartierungen gab es glücklicherweise nicht. Nicht mehr benötigte und als wertlos angesehene Schriftstücke wurden laufend entsorgt. Größere Mengen von eigenen Plakaten und Katalogen wurden nach 1980 in hauseigenen Flohmärkten und durch die auf Restauflagen spezialisierte Buchhandlung Hintermayer OHG, Neubaugasse 29, 1070 Wien, verbilligt abverkauft. 1990 wurde zur Vernichtung älterer bzw. vertraulicher Kassabelege auf Initiative der Buchhalterin ein Reißwolf angeschafft, trotz Proteste des Archivars.3

Bis 1884 befand sich das “Archiv” in einem Schrank der Sekretariatskanzlei und ist mit ihr – “den Bureaux” – während größerer Ausstellungen – wenn man die Räume für Ausstellungszwecke benötigte – im Künstlerhaus öfters herumgewandert. 1882 befand sich das Sekretariat sogar im Vestibül, direkt in dem zu dieser Zeit aufgelassenen Eingang vom heutigen Karlsplatz. In das Künstlerhaus gelangte man damals von der heutigen rückwärtigen Seite, von der Bösendorferstraße. Im Sommer 1884 wurde ein Teil der großen, mit drei Fenstern versehenen Seitengalerie Tür Nr. 58-63 links im Parterre, wo sich ohnehin die Kanzlei meist befand, abgeteilt, und zum “definitiven” Archivraum bestimmt.4 Dieser Archivraum sollte gleichzeitig als Sitzungszimmer dienen.

Doch die Akten wuchsen und wurden im Sekretariat nach einigen Jahren als störend empfunden. Anfang der neunziger Jahre kamen sie deshalb in einen zum rechten Lichthof führenden Raum im Souterrain. Im Dezember 1901 wurde dieser Raum auf Drängen des ebenfalls im Souterrain befindlichen Wirtes Johann Zeilner ihm überlassen, die Akten kamen in einen weiteren, entlegeneren Souterrainraum,5 Teile davon auch in ein gemauertes Kabinett auf dem Dachboden, erreichbar über eine, damals noch vom Souterrain durch das ganze Haus führende eiserne Wendeltreppe. Dort verblieben sie Jahrzehnte bis 1943.

Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs waren die wichtigsten Archivalien und Hausreliquien im habsburgischen Schloss Wallsee ausgelagert, einige Teile der Buchhaltung noch in weiteren Ausweichstellen, wie etwa einem Tresor der Girozentrale, in Klosterneuburg, in Retz, in Hetzendorf und in Baden. Nach Kriegsende (Verluste gab es nur bei den im Schloss Albrechtsberg östlich Melk, einem Besitz der fürstlichen Familie Rohan, gelagerten Kunstsammlungen) kamen alle Archivalien wieder in das Souterrain des Künstlerhauses, wo sie Ende 1947 der Architekt Dr. Franz Peydl durchsah. In diesem Winter 1947/48 dachte man an eine sichere Neuaufstellung und Neuordnung des Archivs, doch davon ließ man schließlich aus Kostengründen ab. Im Künstlerhaus hatte man außerdem nach Jahren der nationalsozialistischen Bürokratie für ein geordnetes Archivwesen wenig übrig. Nachdem diese schwere Nachkriegszeit selbst kaum dokumentiert wurde – man schrieb und behielt damals wirklich nur das allernotwendigste und lehnte beabsichtigte Nachlässe und Widmungen sogar ab – machte man sich auch keine besonderen Gedanken um die Erhaltung bzw. sogar Auswertung der alten Bestände.6 Daran änderte sich auch in den fünfziger Jahren nichts.

Als der pensionierte Gymnasiallehrer und Journalist Prof. Dr. Walter Maria Neuwirth 1962 die Stelle eines Pressereferenten der Gesellschaft übernahm, befand sich das Archiv über das ganze Haus weit verstreut: der Großteil in einem Bretterverschlag am Dachboden, anderes in mehreren Souterrainräumen, ja sogar in dem darunterliegenden feuchten zweiten Keller. Neuwirth, der den Wert der erhalten gebliebenen Autographen erkannte, gelang es damals ziemlich leicht, den Leitenden Ausschuss von der Unhaltbarkeit dieses Zustands zu überzeugen. Schwieriger war schon die Antwort auf die Frage, wie das Archiv zu retten wäre und vor allem wohin mit ihm. Die erste Idee Neuwirths war, das Archiv in einer der damals noch vorhandenen Galerien an der Stirnseite des nach wie vor für Ausstellungszwecke benützten Französischen Saales unterzubringen. Der Kostenvoranschlag des Baumeisters Franz Siess für notwendige Adaptierungen vom Februar 1962 lautete auf 17 583 öS. Dieser Betrag war für das damals nicht subventionierte Künstlerhaus sehr viel, die Lösung nicht ideal und der Raum klein. Das Archiv und der in ihm schmöckernde Prof. Neuwirth blieben weiter am Dachboden.

Im Juni 1965, als Prof. Neuwirth neuerlich an den unhaltbaren Zustand des Archivs hingewiesen hatte, schlug Präsident Alfons Riedel vor, ein Galerie-Eckzimmer (Pavillon) im ersten Stock diesem Zweck zu widmen. Doch auch diese Idee war nicht ideal, der Raum hätte schon bei einer der nächsten großen Ausstellungen gefehlt und vor allem, er hätte den Rundgang im Haus unterbrochen. Dann fand man im April 1966 eine leicht durchführbare Möglichkeit: das ehemalige Stachezimmer Tür Nr. 92 im ersten Stock neben dem Ranftlzimmer, das fallweise zu Sitzungen und sonst nur als Abstellkabinett vom Hauspersonal verwendet wurde (das Künstlerhaus verfügte damals noch über keinen Lastenaufzug; die Arbeiter hatten deshalb die Tendenz, auf jeder Hausebene Austellungsmaterialdepots anzulegen, die dann von ihnen heftigst verteidigt wurden).

Im September 1966 wurden in diesem Zimmer Stahlregale nach Maß eingebaut und das Archiv nach und nach durch Prof. Neuwirth und mehrere von ihm engagierte Helfer mit den Akten vom Dachboden und vom Souterrain gefüllt. Anfang des Jahres 1968 waren die Regale voll. Im April 1968 wurde deshalb in diesen in Relation zur Bodenfläche außerordentlich hohen Raum eine Zwischendecke eingezogen und im Juni 1968 durch neue, bis zum alten Plafond reichende Regale die Stellfläche fast verdoppelt. Die obere Ebene war durch eine einziehbare, allerdings schwankende und doch etwas unsichere ausziehbare Dachboden-Holzleiter erreichbar; die durch diesen Raum von der Portierloge bis zum Dachstuhl einst gehende eiserne Wendeltreppe war bereits vor Jahrzehnten entfernt worden. 1971 musste man auf Anordnung der Behörde die Innenseiten der Türen zum Schutz gegen Feuer mit Blech beschlagen. Die Hausreliquien befanden sich in den drei Renaissance-Ranftlkästen im Ranftlzimmer, die Bibliothek im gegenüberliegenden Kabinett Türnr. 96.7

1973 und 1974 wurden für die Plakat-, sowie die Plan- und Graphiksammlung neue Schränke angeschafft und zum Teil im Archivraum, zum Teil im gegenüberliegenden, seit Jahren stillgelegten und nicht mehr benützten Toilette-Kabinett (Tür Nr. 100) aufgestellt. 1974 waren die gesamten Archivbestände des Hauses in diesen zwei Räumen vereinigt; das ehemalige WC diente außerdem als Lager für verkäufliche Kataloge und Plakate. Nach langer Zeit war das ganze Archiv wieder relativ sicher aufbewahrt und leicht zugänglich. Man glaubte in dieser Unterbringung für viele Jahre eine gute Lösung gefunden zu haben.

Doch nichts dauert ewig: nach einem Präsidentenwechsel und den damit zusammenhängenden radikalen Umstellungen wurden am 21. Dezember 1978 die Archivbestände mit der Bibliothek nach etwa zwei Jahre andauernden Vorgesprächen in das Zentraldepot des Wiener Stadt- und Landesarchivs in Wien 7, Kandlgasse 30 durch die Spedition Gebrüder Lang OHG überstellt; der Archivar ging als „lebende Leihgabe“ mit. Im Künstlerhaus selbst verblieben praktisch nur die aktuellen Bürobestände, die später auch sukzessive (Büroordner mit Korrespondenz und Buchhaltung nach einem gewissen Alter; Drucksachen und im Sekretariat nicht benötigte Dinge laufend und sofort) in die Kandlgasse übertragen wurden.

An dieser Übersiedlung geeinigt haben sich in einer schriftlich festgehaltenen “Vereinbarung” vom 8. September 1978 mit Zustimmung des Rechtsberaters der Gesellschaft Präsident Dr. Walter Schuppich und des Leitenden Ausschusses/Vorstands zwei tatkräftige Männer: Präsident Prof. (später Dr.Dr.h.c.) Hans Mayr und der Direktor des Wiener Stadt- und Landesarchivs (später Hofrat) Univ. Prof. Dr. Felix Czeike – dieser mit Rückendeckung und Unterstützung von Frau Vizebürgermeister Gertrude Fröhlich-Sandner. Die finanzielle Absicherung des Archivs übernahm der Verein für Geschichte der Stadt Wien.

Nachdem das Künstlerhaus kurz davor in einen Ausgleich8 geschlittert war, bekamen mehrere Vertreter der öffentlichen Hand berechtigte Befürchtungen vor einem eventuellen und intern tatsächlich erwogenen Verkauf des Archivs; es handelt sich ja fast ausschließlich um wertvolle Künstlerautographen; fast jede an und für sich uninteressante Rechnung wird durch Künstler signiert und gewinnt so an kommerziellem Wert. Präsident Hans Mayr, der sich aber vor allem des ideellen Wertes des Archivs voll bewusst war und ein Verkauf für ihn kaum in Betracht kam, wollte seinerseits sowohl laufende Kosten für die Archiverhaltung sparen, als auch durch die Absiedlung des Archivs neue Räume im Haus gewinnen.9 Ohne Zweifel war es aber HR Univ. Prof. Dr. Felix Czeike, der das Künstlerhausarchiv durch seinen persönlichen Einsatz vor einem Verkauf und der Teilung in Einzelblätter (Autographen) wirklich gerettet hatte.10

Verwaltet wurde das Künstlerhausarchiv anfangs durch den Genossenschaftssekretär Karl B. Walz, später auch durch andere weitere Kanzleibeamte. Im November 1895 wurde zum ersten Mal ein eigener Archivar angestellt, Dr. Cyriacus Bodenstein. Bodenstein war Nachfolger des nach Berlin gegangenen Vizesekretärs Edwin Klobasser, führte aber den Titel eines Archivars. Er blieb nicht lange: im Mai 1896 legte Bodenstein seine Stelle zurück, da er sich seinem ursprünglichen Lehrberuf an der Technischen Hochschule wieder widmen wollte.11 In den folgenden Jahren wird von keinem eigenen Archivar gesprochen, das Archiv wurde stets ordentlich durch einen Sekretariatsbeamten mitbetreut. Erst nach dem Anschluss 1938 wird ein eigener ehrenamtlicher Archivar erwähnt: der Maler Dr. phil. Georg Pevetz.12 Damals begann man sich bereits des ideellen Archivwertes voll bewusst zu werden. Doch dann wurde Pevetz zur Wehrmacht einberufen und das historische Archiv war verwaist.

Ab Herbst 1942 beschäftigte der Vorsitzende Rudolf H. Eisenmenger den vom Staat zwangspensionierten und mit Schreibverbot belegten Hofrat Dr. Hans Ankwicz-Kleehoven als Archivar. Ankwicz war Kunsthistoriker; er übernahm hauptsächlich den Pressedienst des Künstlerhauses, dessen Beiträge er auf Grund der Auswertungen im Archiv dann in seiner Wohnung bzw. in seinem Haus am Grundlsee schreiben konnte. Dadurch bekam Ankwicz ein Einkommen, wenn auch nur in Form einzelverrechneter Honorare.13 Der Landesleiter der Reichskammer Leopold Blauensteiner hatte gegen die Beschäftigung von Ankwicz, den er seit langem persönlich kannte, trotz dessen politischer “Unerlässlichkeit” nichts einzuwenden. Die Artikel mussten allerdings anonym, nur unter der Bezeichnung Künstlerhaus erscheinen. Als Honorar bekam Ankwicz 20 RM pro Seite. Ankwicz blieb auch nach dem Krieg neben seiner Wiedereinstellung vorerst dem Künstlerhaus treu, widmete sich praktisch aber nur noch dem Schreiben. 1950 bekam er für jede Presseaussendung 30 öS. Da er gewohnt war zu Hause zu arbeiten, nahm er viele Akten mit; nach seinem Tod gelangte sein schriftlicher Nachlass zum Großteil in die Österreichische Galerie, nicht alles wurde dem Künstlerhaus zurückgegeben.

Anfang 1948 wollte man als einen neuen, im Künstlerhaus tatsächlich arbeitenden Archivar den Architekten Dr. Franz Peydl gewinnen; er sollte monatlich mit 300 Schilling honoriert werden. Sollte Peydl diese Stelle tatsächlich übernommen haben, so nur für kurze Zeit, denn zu Beginn der fünfziger Jahre wird wieder der Maler Dr. Georg Pevetz als Archivar bezeichnet. Neben ihnen arbeitete im Archiv der Bildhauer Rudolf Schmidt, der 1951 seine Chronik Das Wiener Künstlerhaus 1861-1951 herausgeben konnte und der vor allem Künstlerbiographien sammelte.14 Die Presseaussendungen, auch für das Kino, schrieb nach Ankwicz gegen Ende der fünfziger Jahre der Redakteur Rudolf Klein.15

Anlässlich der Vorarbeiten zu der Jubiläumsausstellung “100 Jahre Künstlerhaus” 1961 kam der Leitende Ausschuss mit dem bereits erwähnten pensionierten Mittelschulprofessor und Journalisten Dr. Walter Maria Neuwirth in engeren Kontakt. Neuwirth war bereits einige Jahre außerordentliches Mitglied, schrieb Kritiken über Künstlerhausausstellungen für die Tagespresse und war kunsthistorisch sehr interessiert. So wurde er beauftragt, den historischen Teil des Jubiläumskatalogs zu schreiben. Als Archivbenützer konnte Neuwirth die Zustände hinter den Kulissen sehen; er bot sich daraufhin an, die Stelle des Archivars, Bibliothekars und Pressereferenten selbst zu übernehmen.16

Mit dem 1. Jänner 1962 wurde Neuwirth mit all diesen Aufgaben betraut; honoriert wurde er monatlich in Pauschalbeträgen. Als Pensionist konnte Neuwirth dem Künstlerhaus viel Zeit widmen und er schenkte ihm auch sein Herz. Von sich aus begann er im Archiv weiterzuforschen und veröffentlichte nach und nach einige Artikel zur Hausgeschichte. Für manuelle oder einfachere Ordnungsarbeiten standen ihm fallweise mehrere Helfer zur Verfügung, so Margarete Mileret, Dr. Rosa Hörmandinger-Reitner und der ungarische Flüchtling und Völkerkundler Dr. Miklos Szalay. Neuwirth begann das gesamte Archiv neu aufzunehmen. Da ihm jedoch die Ausbildung eines Archivars fehlte und er außerdem ein kaum einer systematischen Arbeit gewohnter Lyriker war, fällte er manchmal Entscheidungen, die nicht immer im Einklang mit den allgemeinen Archivgewohnheiten standen. Er ließ die alte Registratur ganz auf und legte neue Themenkollektionen an; diese Kollektionen dienten ihm als Material für seine Artikel.17 Ähnlich legte er aus den Akten eine Autographensammlung prominenter Künstler an, die nach dem Absenderort(!) geordnet war. Einlaufende biographische Notizen der Zeitgenossen, die keine Mitglieder waren, interessierten ihn dagegen nicht, diese wurden von ihm nicht aufgehoben.

Zur Jahreswende 1971/1972 wurde von dem Ausschussmitglied und Schriftführer der Gesellschaft, dem Maler Heinrich Heuer über den Galeristen George McGuire als Nachfolger des kränklichen Prof. Neuwirth (* 1896) ein neuer Archivar für das Haus gewonnen; damals Ateliermitarbeiter Arnulf Rainers und Student der Zeitgeschichte, Wladimir Aichelburg (* 1945). Seinen regelmäßigen Dienst im Künstlerhaus trat er am 10. April 1972 an. Prof. Neuwirth nahm, nachdem er das Archiv in guten Händen wusste und mit der Fortsetzung seines Werkes zufrieden war, beruhigt mit Ende Juni 1972 seinen Abschied. Für seine Verdienste um das Haus bekam er zum Dank in einer Feierstunde am 31. Oktober 1972 die nur äußerst selten und damals das letzte Mal verliehene Rudolf Zyka-Medaille.18

Im Zentraldepot des Wiener Stadt- und Landesarchivs Kandlgasse 30 wurde das Künstlerhausarchiv im Raum 76 aufgestellt, 1978 noch einem halbleeren Speicher, und im gegenüberliegenden Büro Nr. 77. Die Bestände wurden nun aus den alten Faszikeln und recht verstaubten Büroordnern nach und nach thematisch, alphabetisch und chronologisch geordnet sowie in die vom Magistrat zur Verfügung gestellten Mappen und Kartons eingelegt. Aufgelassen und eingeordnet wurden auch die seinerzeitigen kunsthistorischen Themenkollektionen des Prof. Neuwirth, während an eine Wiederherstellung der alten Registratur nicht mehr zu denken war; sie wurde auch im Künstlerhaussekretariat selbst nicht fortgesetzt. Pläne und Plakate kamen zum Großteil in zwei Metall-Planschränke, die mangels anderer Möglichkeiten im Gang zwischen Büro 77 und Raum 76 standen. Die Regale im Depotraum 76 waren jedoch bald – hauptsächlich durch Zuwächse anderer Dienststellen – voll und auch die Künstlerhausbestände mussten mehrmals nachgerückt werden.

Im Büro befand sich eine kleine Handbibliothek mit allgemeinen Nachschlagewerken sowie einer Reihe der Künstlerhauskataloge, die zur Schonung nach und nach – jeweils nach den Möglichkeiten der hauseigenen Buchbinder – einheitlich in harte Deckel gebunden wurden. In einem Büroschrank wurden sogenannte Reliquien musealen Charakters untergebracht: die Vereinsglocke des “Albrecht Dürer-Vereins”, die Feder, mit der der Kaiser die Schlußsteinurkunde 1868 unterzeichnet hatte, Hammer und Maurerkelle der Schlußsteinlegung, Degen der “Alten Welt” usw. Auf dem Schrank, den Regalen bzw. im Raum 76 provisorisch deponiert wurde auch das Gipsmodell des Künstlerhauses von 1865, das im Haus selbst äußerst gefährdet war (trotz mehrerer Vorstöße des Archivars – auch anlässlich historischer Ausstellungen – wurde es bisher nicht besser aufgestellt und nicht restauriert).

Im Künstlerhaus selbst wurden ab 1978 die Akten des Vorstands, des Sekretariats und der Buchhaltung jeweils nur über die gesetzlich vorgeschriebene Dauer und auch aus praktischen Gründen, etwa die letzten zehn Jahre, aufbewahrt. Ältere Schriftstücke wurden laufend in die Kandlgasse überstellt und ebenso laufend eingeordnet, was ihre Benützbarkeit wesentlich erleichterte. Täglich gleich übertragen wurden ankommende Drucksachen wie Einladungen, Plakate und Kataloge sowohl eigener als auch fremder Veranstaltungen aus ganz Europa, Amerika und Ostasien; desweiteren dokumentarische Ton- und Videobänder von Hauptversammlungen und Ausstellungen, die laufende Korrespondenz mit Mitgliedern, Meldungen über Mitgliederaktivitäten und sonstige biographische Notizen.

Eine im Grunde doppelte, anfangs kurz geführte Archivierung dieser Bestände auch im Künstlerhaus, erwies sich als äußerst unzweckmäßig, ja im Gegenteil, ihre sofortige Deponierung im Stadtarchiv ermöglichte erst – trotz der räumlichen Trennung – die rasche Auffindung und gewünschte rasche Auswertung der überstellten Dokumente auch durch das Künstlerhaus selbst. So wurde eine Doppelgleisigkeit vermieden; eine biographische Mappe etwa, wird nur einmal und zwar im Stadtarchiv angelegt. Sie beinhaltet demnach den aktuellsten Stand, der allen Benützern zugutekommt. Im Künstlerhaussekretariat verblieben nur aktuelle biographische Fragebögen lebender Mitglieder mit Adressen, Telefon- und Kontonummern. Verstorbene und ausgetretene Mitglieder sowie fremde (z. B. abgelehnte) Künstler werden im Künstlerhaus selbst nicht mehr gesammelt. Größere Transporte des im Sekretariat des Künstlerhauses angefallenen Materials (Ausstellungsakten, Buchhaltung, Bücher) erfolgten in größeren Zeitabschnitten per Klein-LKW.

Durch diese ständigen Ergänzungen ergaben sich allerdings öfters Teilungen der übervollen Archivkartons, die sich manchmal wegen der dadurch notwendigen Umstellungen unangenehm auswirkten (hauptsächlich bei alphabetisch geordneten Beständen wie den biographischen Mappen, aber auch bei chronologischen durch im Künstlerhaus später aufgefundene und nachträglich überstellte Akten – vor allem bei Ausstellungen).19 Im Zentraldepot Kandlgasse wurde das bereits im Künstlerhaus begonnene detaillierte Ordnen der Bestände fortgesetzt. Inventare, Verzeichnisse und Listen wurden ab 1989 mittels EDV gespeichert. Im Vordergrund stand die Erstellung und laufende Ergänzung:

  1. der Mitgliederevidenz (Künstler: ordentliche Mitglieder, korrespondierende Mitglieder und Ehrenmitglieder) sowie
  2. die Evidenz der Kunstfreunde (Ehrenmitglieder, außerordentliche Mitglieder, “Stifter”, “Gründer”, “Teilnehmer”, “Förderer” und “Freunde”) jeweils mit ihren Eckdaten; in derselben Datei wurde auch das Hauspersonal (Angestellte, Arbeiter, Zivildiener, freie Mitarbeiter) geführt.

    Weiters wurde angelegt:
  3. die Evidenz der Ausstellungen (mit näheren Daten wie Besucherzahlen, Verkäufen etc. und einer Übersicht der Plakate und Kataloge);
  4. die Evidenz der Vorträge, Konzerte, Feste und sonstiger geselliger Veranstaltungen im Künstlerhaus;
  5. die Evidenz der Kino- und
  6. Theatervorstellungen in den eigenständig geführten Nebenbetrieben im Künstlerhaus; sowie
  7. die Evidenz der Ehrungen und Preisverleihungen im Künstlerhaus.

Ende Jänner 2002 wurde das gesamte Künstlerhausarchiv aus der Kandlgasse in das neue Domizil des Wiener Stadt- und Landesarchivs, 1110 Wien, Gugglgasse 14, Gasometer D, überstellt. Wegen des dort weit unterschätzten, bereits herrschenden, beschränkten Raumangebots wurden die Bestände in den Depots 303 und 528 sowie dem Büro 537 im 3. und 5. Stock aufgestellt. Zu einer neuerlichen Übersiedlung des Künstlerhausarchivs kam es nach dem Ausbau des Stadtarchivs im April 2010; alle Bestände wurden im 6. Stock, im Depot 606a und im gegenüberliegenden, auf gleicher Ebene befindlichen Büro 638 vereinigt, wodurch die zahlreichen lästigen Aufzugsfahrten zum Großteil aufhörten. Der durch die forschende Öffentlichkeit frequentierte Lesesaal befindet sich allerdings im 4. Stock.

Auf Grund der seinerzeitigen Vereinbarung entwickelte sich zwischen dem Künstlerhaus und dem Wiener Stadt- und Landesarchiv eine enge, vom Stadtarchiv gar nicht erwartete bzw. erwünschte Kooperation. Der gleiche Archivar ist sowohl im Stadtarchiv wie auch am Karlsplatz tätig, d. h. das Künstlerhausarchiv ist ein lebender Bestand mit fortlaufendem Zuwachs. Abgesehen von der durch die sofortige Übernahme zeitgenössischer Dokumente sicheren Erhaltung ist im Wiener Stadt- und Landesarchiv im Gegensatz zum Künstlerhaus ihre rasche Zugänglichkeit garantiert. Im Gegensatz zur Praxis der Vergangenheit, als nur Unterlagen der eigenen Mitglieder aufgehoben wurden, werden ab 1972 alle einlaufenden biographischen Daten laufend sortiert und eingeordnet, also auch fremder Künstler und Kunstfreunde – was allerdings einen raschen Wachstum der Bestände bedeutet.

Ausstellungsakten, die es im Künstlerhaus an mehreren Stellen gleichzeitig gibt (eigene Reihen führen naturgemäß die Ausstellungskommissäre bzw. Ausstellungskommissionen, der Vorstand, die Buchhaltung, der Hausinspektor, der Ausstellungsarchitekt) wurden im Stadtarchiv zu einem einzigen Bestand vereinigt, sodass man in einem einzigen Akt gleich alles zu einer Ausstellung findet: Projekte, Beschlüsse, Korrespondenz, Versicherungs- und Transportlisten, Kostenaufstellungen, Materialbedarf, Besucherzahlen, Vernissagekosten, Ausstellungspläne etc. Ähnliches gilt auch für die Hausakten, das Restaurant, das Kino und das Theater.

Neben den eigenen Hausfunktionären gibt es gegenwärtig drei große Benützer-Hauptgruppen des Künstlerhausarchivs:

I. Forscher im klassischen Sinn, die meist über einen längeren Zeitraum an einem bestimmten Thema arbeiten; etwa an einer Künstlerbiographie, einer Ausstellung, an diversen Vereinsgeschichten, kunsthistorischen Zeitströmungen, staatlicher Kunstpolitik etc.
II. Häufiger werden kurze schriftliche und heute auch telefonische bzw. E-Mail-Anfragen bearbeitet, die vor allem
a. biographische Eckdaten einzelner Künstler sowie
b. Nachforschungen nach Rechtsinhabern und
c. den Umlauf der Kunstwerke betreffen.

Gestellt werden sie hauptsächlich von Verlagen und dem Kunsthandel bzw. den Kunstsammlern und Besitzern einzelner Kunstwerke. Diese Anfragen werden unbürokratisch und rasch erledigt. Seit Mai 1995 verfügt das Künstlerhaus über einen Internetanschluss. Durch diese moderne Kommunikationsmöglichkeit werden an das Archiv Anfragen problemlos aus fernen Kontinenten gestellt, dafür aber meist oberflächlicher Natur, oft ja sogar ausgesprochen naiver Art. Über einen Internetanschluss verfügt ab dem 6. Mai 1996 auch das Wiener Stadt- und Landesarchiv. Inzwischen hat sich die Internetverbindung zum großartigen und heute unverzichtbaren Teil der raschen Kommunikation entwickelt.

III. Hilfeleistung – sei es durch Recherchen und Weitergabe der Forschungsergebnisse, sonstige Informationen oder auch durch Leihgaben – für diverse Ausstellungsvorhaben sowohl im Künstlerhaus selbst, wie auch für auswärtige Galerien und Museen stellt schließlich ebenfalls einen nicht geringen Teil der Archiv-Öffentlichkeitsarbeit dar.

Das Künstlerhausarchiv ist nach den Bestimmungen des Wiener Stadt- und Landesarchivs bzw. des Wiener Archivgesetzes 2000 öffentlich zugänglich und benutzbar. Die übliche Archivsperre – 30 Jahre, bei Staatsarchiven 50 Jahre – wird jedoch, wenn es im Interesse des betreffenden Künstlers liegt und wenn es sich um keine zu schützenden Daten handelt, nicht angewandt.

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