Die Opfer 1938-1945

Wie viele Künstler zwischen 1938 und 1945 ihr Leben in direkter Folge des deutschen Einmarsches vom März 1938, der nationalsozialistischen Gesetzgebung und des folgenden Weltkriegs verloren haben, lässt sich nicht eindeutig feststellen; insgesamt starben in dieser Zeit 91 ordentliche Mitglieder.1 Aber auch die “normalen” Todesfälle durch Alter oder Krankheit, wurden durch die damaligen Verhältnisse zumindest beschleunigt. Hier einige wenige Beispiele der Vielschichtigkeit dieser schwarzen Tage:

Der Maler Theodor Bruckner, alleinstehend und in sozialdürftigen Verhältnissen lebend (er blieb den Mitgliedsbeitrag schon für sechs Jahre schuldig), verlor bald nach dem Anschluss, wie er selbst an das Künstlerhaus am 6.5.1938 schreibt, sein Wohnatelier in der Wohllebengasse 15/12. Er kam dann am 3.6.1938 krank in das Sanatorium Dr. Fries in Inzersdorf, war kurz im November und Dezember 1939 wieder in einer Wohnung in Wien 4, Taubstummengasse 15/2 gemeldet, dann wieder im Sanatorium Dr. Fries; ab dem 29.1.1940 in der Anstalt Am Steinhof und wurde am 22.7.1940 in das berüchtigte Schloss Hartheim deportiert, wo er kurz darauf, Ende Juli 1940, durch Gas, getötet wurde.2

Architekt Friedrich Schön, geboren 1857 in Ungarn als Fülop Schön, wurde am 4.8.1939 wieder auf den Vornamen Filipp umgemeldet; konnte seine Wohnung in der Türkenschanzstraße 44, 1. Stock, aber vorerst noch behalten. Er war verwitwet; eine Tochter lebte in Rom, eine andere in Ungarn. Am 23.11.1941 wurde er von seiner Wohnung Türkenschanzstraße dann doch abgemeldet und nach Kowno / Kaunas, Generalgouvernement / Litauen, deportiert. Kurz nach der Ankunft am 29.11.1941 wurde er erschossen. Das wussten seine Töchter damals nicht; am 17.4.1949 wurde Schön vom LGfZRS Wien für tot erklärt bzw. es wurde ausgesprochen, dass er den 8. Mai 1945 nicht überlebt hat.

Wie jetzt aus den zu Tage kommenden und auch im Internet publizierten Holocaustakten (www.doew.at) hervorgeht, verließ Schön am 23.11.1941 mit einem Deportationstransport von etwa 1000 Personen den Wiener Aspangbahnhof in Richtung Riga. Im litauischen Kowno / Kaunas wurden die Deportierten dem sogenannten Einsatzkommando 3 übergeben und im Fort IX., einem Teil der alten zaristischen Befestigungsanlagen, erschossen (Bericht des Kommandeurs der Sicherheitspolizei und des SD in Kaunas, gleichzeitig Führers des EK 3, SS Standartenführers Jäger).

Der Maler Heinrich Vogeler starb in der Sowjetunion, in einem kommunistischen Internierungslager für Deutsche in Kasachstan am 14. Juni 1942; nähere Umstände sind bisher unbekannt.

Der Maler Heinrich Rauchinger, der 84jährig am 10. Juli 1942 von Wien aus in das Konzentrationslager Theresienstadt gebracht wurde, starb dort am 19. August 1942.3
Der Maler und Graphiker Willy Jaeckel fiel einem amerikanischen Luftangriff auf Berlin am 30. Jänner 1944 zum Opfer.

Der Maler Alfredo Renato Carpaneto, schon am 18.9.1939 zur Wehrmacht eingerückt, 4. Kompanie der Panzer-Ersatz-Abteilung 4, gehörte ab dem 3.4.1940 der 7. Kompanie des Panzerregiments 4 an. Ab dem 22.10.1942 der 4. Kompanie des gleichen Regiments und ab dem 10.5.1943 der 2. Kompanie der schweren Panzerabteilung 502, in der er am 4.3.1944 das Kommando über einen Tiger-Panzer übernahm, Einsatzgebiet Ostfront. Während einer Eisenbahnverlegung fuhr sein Transportzug am 10.10.1944 vor Memel auf einen anderen, auf dem gleichen Gleis stehenden Zug auf, wobei die Lokomotive und die ersten Waggons entgleisten. Den Soldaten gelang es außer einem Bergepanzer zwei unbeschädigte Tiger-Kampfpanzer über das Zugsende zu entladen, darunter den des Obergefreiten Carpaneto; sie wurden dem 1. Bataillon des Grenadierregiments 209 unterstellt. Beim Marsch zu dieser Einheit wurden die Panzer ostwärts Truschellen und südlich Karlshof von 13 seitlich, unerwartet aus einem Wald kommenden, sowjetischen T 34 Panzern angegriffen und die einen Tiger abschossen. Carpaneto hatte in seinem Panzer nur sechs Panzergranaten zur Verfügung, was ihm aber trotzdem binnen zwei Minuten zum Vernichten von vier Angreifern reichte, worauf sich die übrigen neun zurückzogen. Carpaneto verhinderte dadurch für einige Zeit den Einbruch eines dünn besetzten Memelbrückenkopfes.
Am 26.1.1945 stand er bei der Verteidigung des Ortes Kadgiehnen wieder im Kampf. Im Morgengrauen gelang es ihm zwei auf der Straße Königsberg-Kadgiehnen von Süden her kommenden zwei T 34 Panzer abzuschießen, als 18 weitere russische Panzer kamen. Bis die am anderen Ortsende stehende deutsche Panzertruppe eingreifen konnte, vernichtete Carpaneto in vier Minuten weitere vier Panzer. Bei einem Stellungswechsel brach sein Tiger durch das Eis eines zugefrorenen Sumpfes etwa 1,20 m ein, konnte aber trotzdem noch zwei angreifende Russen vom Wasser aus abschießen, bevor er durch einen anderen Tiger herausgezogen wurde. Carpaneto plagte dabei das berüchtigte „Wolhynische Fieber“, er verblieb aber trotzdem auf seinem Posten als Kommandant. Von den insgesamt 15 Abschusserfolgen des Tages dieser Kampftruppe errang Carpaneto allein acht. Doch dann verließ ihn das Glück, nur wenige Stunden später, am gleichen Tag im Bereich des Füsilier-Bataillons 58 bei Groß Blumenau wurde sein Tiger getroffen und vernichtet, Carpaneto fiel. Nachdem der bereits vorher durch seine Vorgesetzten eingegebene Auszeichnungsvorschlag für das Ritterkreuz am 16.3.1945 beim Heerespersonalamt eintraf, wurde Alfredo Carpaneto am 28.3.1945 posthum das Ritterkreuz verliehen. Er war bereits Träger des Eisernen Kreuzes 1. und 2. Klasse, des Dienstabzeichens der Panzerfahrer und der Ostmedaille. Durch seine 50 anerkannten Siege belegte er die 28. Stelle in der Rangliste der erfolgreichsten Tigerkommandanten.

Doch davon wusste man in Wien nichts. Carpaneto hatte noch im Mai 1944 eine Kollektion im Künstlerhaus, seine Werke wurden auch noch nach Kriegsende 1945 gezeigt. Die Nachrichten über seinen Tod waren widersprüchlich: er sollte aus der Panzerluke herausschauend in den Kopf getroffen worden sein; andere Kameraden berichteten von anschließender sowjetischer Gefangenschaft. Ein Künstlerkollege wollte ihn 1947 in Rom gesehen haben. Nur der in Österreich lebende Bruder Carpanetos war von seinem Tod überzeugt. Anfragen in Rom blieben lange ergebnislos4, erst die Nachforschungen vom Juni 2008 brachten Gewissheit über sein Schicksal.5

Der Porträt- und Landschaftsmaler Anton Karlinsky wird 1944 als Obergefreiter an der Ostfront vermißt. Er war der einzige Sohn; sein Vater, ebenfalls Maler, starb kurz darauf, am 19. März 1945 in Rossatz.

Der Maler Josef Schuster wurde, nachdem bereits seine beiden Söhne gefallen waren, am 8. Februar 1945 in seinem Wohnhaus Wiedner Hauptstraße 117 bei einem Bombenangriff der alliierten Flugzeuge verschüttet.

Der Maler Richard Carl Wagner wurde als geisteskrank im Oktober 1944 in die psychiatrische Anstalt Steinhof eingeliefert; er starb dort am 12. März 1945.
Der Landschaftsmaler Otto Jahn musste, nachdem er bereits ab 1939 mit Unterbrechungen an der Front stand, noch am 10.3.1945 in Wien einrücken und ist seitdem vermißt. Der Unteroffizier, wurde am 1.9.1950 für tot erklärt.

Der Maler Albert Schreyer – er lebte nach dem Ausbomben seiner Atelierwohnung im November 1944 im ersten Stock des Künstlerhauses – starb durch Herzversagen am 31. März 1945 um 21.00 Uhr, auf der Straße vor den Trümmern seines Wohnhauses Jacquingasse 21.

Der durch einen Splitter eines Artillerieschrapnells verletzte Maler Carl Moll verübte in der Nacht vom 12. auf den 13. April 1945 mit seiner Tochter Maria und dem Schwiegersohn Landgerichts-Vizepräsident Dr. Richard Eberstaller gemeinsam Selbstmord durch Vergiftung (Wien 19, Wollergasse 10). Alle drei wurden anschließend im Garten der durch den sowjetischen Artilleriebeschuss beschädigten Villa notdürftig beigesetzt (die nebenstehende Villa Nr. 8 war bereits vorher durch einen alliierten Luftangriff zerstört worden, die gegenüberliegenden Nr. 7 und 7A beschädigt). Damit der röm. kath. Moll bei der späteren Umbettung ein Begräbnis bekommen konnte, wurde in der Sterbematrik der Pfarre Heiligenstadt als Sterbeursache in einem nachträglichen Vermerk vom 8.8.1945 “Granatverletzung und Blutverlust” eingetragen. Seine Tochter und der Schwiegersohn waren evangelisch; am 12. Oktober 1945 wurden alle exhumiert und am Grinzinger Friedhof bestattet.

Die Verlassenschaftsabhandlung gestaltete sich besonders schwierig, da man im Hinblick auf die untereinander zerstrittenen Erben juristisch feststellen musste, wer vor- und wer nachverstorben war; wer also wen – wenn auch nur für die allerkürzeste Zeit – beerbt hatte. Das Ehepaar Eberstaller machte außerdem am 11. April ein Testament, das von der in den USA befindlichen Stieftochter Molls Alma Schindler (verh. 1902 mit Gustav Mahler, 1915 mit Walter Gropius, 1929 mit Franz Werfel) nicht anerkannt, angefochten und in der Folge von den Juristen nur als Kodizill, wo ein Erbe nicht namentlich genannt wird, angesehen wurde. Die diesbezüglichen Gerichtsverhandlungen liefen alle Instanzen durch und konnten erst 1954 abgeschlossen werden. Alma Mahler-Werfel zeigte sich dabei menschlich gesehen im allerschlechtesten Licht, da sie hasserfüllt auf ihre österreichischen Verwandten Sachen beanspruchte, die ihr rechtlich nicht zustanden. Während des langwierigen Erbschaftsstreits bezichtigte sie sogar ihre eigene Mutter des Fremdgehens und einen der Legatare illegitimer Abstammung: “Wilhelm Legler ist der Sohn eines Malers namens Julius Berger, mit dem meine Mutter illegitime Beziehungen unterhielt”. Alma selbst starb in New York 1964, wurde anschließend nach Wien überführt und am Grinzinger Friedhof bestattet. In der Literatur wird sie sehr verklärt dargestellt, sie brachte es sogar zur Theaterfigur.

Nach dem gerichtlich festgestellten Hergang “feierte” Carl Moll am 12. April 1945 abends mit einigen Hausmitbewohnern noch den Geburtstag von Dr. Eberstaller (* Langenlois 12.4.1887). Als Eberstaller an diesem Tag vom Gericht nach Hause kam, fand er in seiner Wohnung Plünderer vor. Carl Moll erlitt kurz vorher eine Verletzung durch eine Artillerie- Sprunggranate und fühlte sich äußerst niedergeschlagen. Maria Eberstaller servierte eine selbst gebackene, bescheidene Torte. Man verabschiedete sich von den Mitbewohnern ruhig. Am nächsten Morgen fand man Moll tot, Frau Maria Eberstaller atmete kurz noch, Dr. Eberstaller “röchelte”. Die bei ihm versuchten Wiederbelebungsversuche waren vergeblich, er starb um die Mittagszeit des 13. April 1945. Erst um diese Zeit kamen die ersten sowjetischen Soldaten, schlugen die Fenster ein und drangen in die Halle. Zu einer in der Literatur öfters erwähnten Vergewaltigung Marias durch die Russen, die als Motiv zum Selbstmord Molls und den Seinen führen hätte sollen, finden sich in den Gerichtsakten keine Indizien.6 Moll war gegen sein Lebensende ein überzeugter Nationalsozialist, aber das hat ihm die Kunstgeschichte nie übelgenommen.

Der Architekt Werner Theiss, Mitarbeiter im Atelier seines Vaters Siegfried Theiss, fiel noch am 16. April 1945. Werner Theiss befand sich ab 1942 an der Front.
Der 76jährige Maler Raimund Germela starb am 23. April 1945 und wurde von seiner Nichte unter dem Rasen bei der Ostwand der Karlskirche begraben.

Der von der Secession seinerzeit übernommene Aufseher und Materialverwalter Ernst Krammer (* Wien 4.1.1906) fiel im Kampf um Berlin bei Potsdam am 1.5.1945. Nachdem er am 15.1.1940 einberufen worden war, machte er den ganzen Krieg als Soldat und Unteroffizier durch.
Gefreiter Maler Ernst Müller starb am 14. Oktober 1945 in einem sowjetischen Kriegsgefangenenlager an Ruhr, nachdem er noch im Juni 1945 durch die Straßen Wiens geführt wurde. 1943 bemühte sich das Künstlerhaus erfolglos um seine Versetzung als Pressezeichner zu einer Propaganda-Einheit. Die Familie erfuhr von seinem Tod erst im September 1946; seine Mutter wurde anschließend jahrelang vom Künstlerhaus finanziell unterstützt.
Wehrmachtssoldat Bildhauer Otto Fenzl starb am 16. Oktober 1945 als französischer Kriegsgefangener in Metz.

Artilleriehauptmann Dr. Franz Sedlacek, einer der phantasievollsten Maler, wurde angeblich zuletzt 1946 in einem britischen Kriegsgefangenenlager bei Ostende gesehen und gilt seitdem als vermißt; alle Nachforschungen des Künstlerhauses nach seinem Schicksal blieben ergebnislos.

Unzählige Mitglieder, ähnlich wie auch die gesamte Bevölkerung, litten unter der Behördenwillkür, viele verloren ihre nächsten Familienangehörigen, ihr Hab und Gut.