Probleme der Entnazifizierung 1945-1952

Während der nach Kriegsende 1945 angesetzten und sich über fünf Jahre hinziehenden Entnazifizierung kam es neben als gerecht empfundenen Bestrafungen allerdings auch zu manchen unerwünschten Übergriffen. Ein solcher Fall war etwa die Beschlagnahme des Ateliers Eisenmenger Wohllebengasse 9/4/16 im Februar 1946 und der Zuweisung an den Maler Maximilian Florian. Rudolf Hermann Eisenmenger, der sich, abgesehen von seiner Parteimitgliedschaft nichts zuschulden kommen ließ, ja im Gegenteil das Künstlerhaus und dessen Mitglieder durch die Unbilden der Zeit mit durchschlagendem Erfolg gesteuert hatte, wurde buchstäblich auf die Straße gesetzt. Seine Wohnung in einem Rodauner Reihenhaus wurde für die Zwecke der sowjetischen Armee bereits zu Kriegsende beschlagnahmt. In seinem Atelier Wohllebengasse arbeiteten und wohnten neben Eisenmenger 1945 noch die ausgebombten Erich Miller-Hauenfels mit seiner Frau, ebenfalls Malerin, und der Bildhauer Adolf Wagner von der Mühl. Sie alle wurden nun hinaus gedrängt. Statt ihnen zog der in der Öffentlichkeit künstlerisch bisher kaum hervorgetretene, aber mit besseren politischen Verbindungen ausgestattete Max Florian in das Atelier ein.

Da Rudolf H. Eisenmenger als ehemaliges Parteimitglied und obwohl nach damaligem Jargon „minderbelastet“, keine Chance auf Zuweisung einer anderen Wohnung hatte, mietete das Künstlerhaus für ihn ab Mai 1946 ein kleines Atelier in der Marokkanergasse 12. Die Gesellschaft wurde zum Hauptmieter und das Wohnungsamt akzeptierte dies. Dort konnte Eisenmenger seine Familie unterbringen und seinem Nachkriegsschaffen nachgehen; erst 1947 gelang es ihm in das Gartenhäuschen seines eigenen, von den Sowjets immer noch besetzten Hauses in Rodaun wieder einzuziehen. Eisenmenger war verheiratet und hatte zwei kleine Söhne.1

Der Maler Herbert Dimmel wurde am 17. Mai 1946 in die Gesellschaft wieder aufgenommen und seine Streichung im Oktober 1945 mit einem Irrtum entschuldigt. Dimmel war nie “illegal”.
Am 10. März 1947 erschien mit dem BGBl. Nr. 64 das sogenannte “Verbotsgesetz 1947″, durch das alle bisherigen Entscheidungen und Verfügungen, politische Beurteilungen betreffend, novelliert wurden. Die auf Grund dieses Gesetzes eingesetzte Kommission hatte nur noch zwischen “belasteten” – das waren Parteimitglieder mit besonderen Funktionen, Angehörige der SS usw. – und den “Minderbelasteten” – Parteimitglieder ohne Funktionen, sogenannte Mitläufer etc. – zu unterscheiden. Belastete Personen waren bis zum 30. April 1950 vom öffentlichen Auftreten bzw. öffentlicher Berufsausübung ausgeschlossen (begründete Ausnahmen waren allerdings möglich). Minderbelastete durften von nun an ihrer künstlerischen Berufstätigkeit nachgehen und die Werke ihrer Produktion der Öffentlichkeit zugänglich machen (auch hier waren Ausnahmen möglich). Wichtig war, ob der Betroffene die Ziele des Nationalsozialismus intensiver als bloßer Mitläufer unterstützt, ob er andere Personen geschädigt, oder durch seine Zugehörigkeit zur NSDAP für sich oder ihm nahe stehenden Personen unverhältnismäßig große Vorteile erwirkt hatte.

Mit Erlass des Bundesministeriums für Unterricht vom 7. Juni 1947 wurde eine Kommission zur Beurteilung der freischaffenden und der darstellenden Künstler, der Dirigenten, Musiker, Regisseure und Bühnenbildner gebildet; sie bestand aus 33 Mitgliedern. Schon Mitte Juli 1947 kamen über die Berufsvereinigung, die als Fortsetzung der Reichskammer fungierte, 19 Fragebogen des Bundesministeriums für Unterricht über minderbelastete Kollegen dem Ausschuss zu. Man wollte im Ministerium wissen, ob bzw. über welche Personen man das Arbeitsverbot verhängen sollte. Im Schreiben wurde von ordentlichen Mitgliedern gesprochen, obwohl manche von ihnen seit 1945 ausgestrichen waren. Gegen andere lag 1945 nichts vor; diese waren 1947 tatsächlich Mitglieder.

Am 23. Juli 1947 wurde in einer Ausschusssitzung über die Anfrage des Ministeriums und über diese Kollegen beraten. Man einigte sich an mehreren Formulierungen. Bei:

Grom-Rottmayer Hermann
Meissner Paul
Schmidt Rudolf
Streit Robert und
Wilke Karl Alexander

lautete die Antwort an das Ministerium: “Seitens der Gesellschaft bildender Künstler Wiens, Künstlerhaus, der der Obgenannte seit … als ordentliches Mitglied angehört, liegt nichts Nachteiliges vor. Er hat sich während des Hitlerregimes gegen die kameradschaftlichen Grundsätze Andersgesinnten gegenüber in keiner Weise vergangen”. Bei

Eisenmenger Rudolf Hermann
Grienauer Edwin
Hauer Leopold
Holzinger Rudolf
Keppel Rudolf Heinz
Massmann Hans
Pieler Erich
Reinkenhof Rudolf
Riedel Alfons
Stella Eduard
Velim Anton und
Zerritsch Fritz

schrieb man: “… hat sich in keiner Weise gegen die kameradschaftlichen Grundsätze vergangen. Es wird dringendst ersucht, dem Obgenannten die Berufsausübung zu gestatten”. Bei

Thiede Oskar

berichtete man: “Seitens der Gesellschaft bildender Künstler Wiens, Künstlerhaus, ist nichts bekannt, dass der Genannte die kameradschaftliche Grundsätze verletzt hätte”. Das waren feine Nuancen. Rigoros zeigte man sich dagegen bei

Janesch Albert:

“Prof. Albert Janesch war Wortführer der Nationalsozialisten und Gründer der NS-Zelle im Künstlerhaus. Der Ausschuss spricht sich einstimmig gegen eine Entnazifizierung des Obgenannten aus”.

In den folgenden Wochen und Monaten wurde noch über andere Kollegen geurteilt, manchmal auch über völlig unbeteiligte. Da man im Künstlerhaus nun wirklich bestrebt war, endgültig, im Sinne der Verfolgten reinen Tisch zu machen, schrieb der Ausschuss am 23. Oktober 1947 noch an alle Kollegen mit der Aufforderung um diesbezügliche Informationen; konkret ob jemand gegen die Wiederaufnahme der ausgeschiedenen Mitglieder etwas einzuwenden hätte und warum.
Dem Ausschuss bzw. dem “Komitee zur Bereinigung der Naziangelegenheiten”, bestehend aus Emil Beischläger, Anton Endstorfer, Karl M. May, Josef Schilhab, Hubert Woyty-Wimmer, Wilhelm Wodnansky, Gustav Gurschner und Otto Schönthal, gingen daraufhin mehrere Zuschriften zu. Aus einigen sprach echte Empörung über erlittenes und noch nicht überwundenes Unrecht. Die meisten Zuschriften gaben aber Zeugnis von einer verstehenden Menschlichkeit. In der Hauptversammlung am 28. November 1947 wurde nach Vorschlägen der Kommission bis auf zwei Namen die Wiederaufnahme der 1945 ausgeschiedenen Kollegen beschlossen, wenn auch wieder mit Nuancen. Sofort aufgenommen wurden:

Andri Ferdinand
Eisenmenger Rudolf Hermann
Frank Leo
Grienauer Edwin
Hartig Arnold
Velim Anton
Windhager Franz

Die übrigen minderbelasteten Kollegen sollten zu einem späteren Zeitpunkt aufgenommen werden, obwohl auch sie sich in keiner Weise vergangen hatten. Im Sinne des kulturellen Wiederaufbaus wäre es sogar wünschenswert gewesen, wenn auch sie ungehindert ihrem Beruf nachgehen könnten:
“Wenn sich ein “Nazi” den Kopf zerbricht, wie man am zweckmäßigsten und am besten den Stephansplatz gestalten könnte, so beweist er damit doch wohl, dass er Interesse an Österreich hat, und er hat dann nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, mit seinen Plänen an die Öffentlichkeit zu treten. Es scheint aber grotesk, ungerecht und vor allem ganz und gar unzweckmäßig für den Wiederaufbau unseres Landes, wenn zum Beispiel beim Preisausschreiben für die Neugestaltung des Karlsplatzes das beste Projekt deshalb nicht den 1. Preis bekam, weil der Einsender ein “Nazi” war. Soll der Karlsplatz deshalb zweitrangiger gestellt werden?” schrieb unter der Chiffre A. W. ein Kommentator der “Tageszeitung”, des Zentralorgans der Österreichischen Volkspartei, am 23.August 1947.2

Trotzdem wollte man viele der ehemaligen Parteigenossen im Künstlerhaus vorerst noch nicht haben: das Ansehen jedes Einzelnen und persönliche Beziehungen spielten hier wieder eine wichtige Rolle. Dem ehemaligen Vorsitzenden Rudolf Hermann Eisenmenger wurde sein reiner Charakter wiederholt bestätigt, ebenso, dass er seine politische Stellung niemals missbraucht hatte.3

Bei Albert Janesch und Berthold Löffler, die auf Grund neuer Informationen nachträglich belastet wurden, hat die Versammlung einstimmig beschlossen, der Entnazifizierungskommission zu empfehlen, den beiden ihre öffentliche Berufsausübung bis zum 30. April 1950 zu untersagen. Janesch hat durch sein provokantes, strammes Auftreten, wo immer er in Erscheinung trat, unliebsames Aufsehen erregt. Das Künstlerhaus fühlte sich durch Janesch geschädigt, da hauptsächlich er es war, der es in den Ruf brachte, eine “Nazigesellschaft” zu sein.

Der ehemalige Professor an der Kunstgewerbeschule Berthold Löffler hatte durch seine unbedachte Handlungsweise Prof. Paul Kirnig, der an derselben Schule unterrichtete, dermaßen gefährdet, dass dieser nur knapp einer Verhaftung und Deportation in ein KZ entging.
Interessanterweise ging damals niemand auf die Handlungsweise der Nicht-Parteimitglieder ein, die sich nach 1945 gerne als verfolgt bezeichneten, die jedoch selbst aus rein opportunistischen Gründen seinerzeit auch viel Unheil angerichtet haben bzw. anrichten konnten. So meldete etwa Franz Zülow im Mai 1941 sein Interesse am Atelier Frau Martha Sarah Riemer, Wien 9, Porzellangasse 41/10 an. Zülow war aber ab 1946 nicht mehr im Künstlerhaus, sondern in der Secession, die jetzt für ihre neuen Mitglieder selbst handeln sollte – so war sein Fall für das Künstlerhaus uninteressant geworden.4 In der Hauptversammlung am 17. März 1948 wurden en bloc folgende Kollegen wieder aufgenommen:

Böttger Rudolf
Eigenberger Robert
Frank Hans
Haybach Rudolf
Hecke Martin
Ilz Erwin
Milan Alfred
Schachinger Hans
Streit Robert
Thiede Oskar
Wilke Karl Alexander

In derselben Versammlung wurde auch der Fall Ekke Ozlberger besprochen. Ozlberger wurde 1945 aus der Mitgliederliste auf Grund seiner eigenen Angaben am Personalblatt der Reichskunstkammer gestrichen. Nun stellte sich heraus, dass seine nach dem Anschluss 1938 aus rein opportunistischen Motiven gemachten Angaben, unrichtig waren und dass er nach dem Verbotsgesetz 1945 überhaupt nicht registrierungspflichtig war. Darauf bezog sich Ozlberger als er wiederholt gegen seine Streichung protestierte. Er wollte sogar wegen des vermeintlichen Schadens, der ihm durch diese Streichung entstanden war, die Gesellschaft klagen.

Sein Fall war kompliziert und zu Ehre der Künstlerhausmitglieder für sie auch atypisch. Ozlberger war ab dem 12. Juni 1933 bis zu ihrem Verbot am 19. Juni 1933 Mitglied der NSDAP. Nach diesem Tag5, also illegal, hatte er sich jedoch nicht betätigt. Nach dem Anschluss meldete er sich sofort wieder zur NSDAP und wurde am 1. August 1938 als Mitglied bezeichnet, nachdem er bereits 1933 Mitglied gewesen war. Doch bevor ihm die neue Mitgliedskarte ausgefolgt werden konnte, stellte man fest, dass seine Frau „jüdischer Mischling“ und Ozlberger demnach, trotz seiner Gesinnung für die Partei untragbar war. Daraufhin ließ sich Ozlberger von seiner Frau am 20. November 1940 scheiden. Doch das genügte den Parteistellen nicht mehr, vielleicht fand auch der für Neuaufnahmen zuständige Parteifunktionär das Vorgehen Ozlbergers als zu schäbig. Er wurde am 6. März 1941 gezwungen, seinen Antrag um die Mitgliedschaft zurückzuziehen und die seinerzeitige Aufnahme von 1933 wurde für nichtig erklärt.

Das alles wusste man im Künstlerhaus anfangs nicht; Ozlberger galt bei seinen Kollegen als Parteigenosse und Nazi. Rechtlich gesehen war Ozlberger nach dem Krieg aber tatsächlich nicht registrierungspflichtig. Inzwischen fand er auch zu seiner Frau zurück, die glücklicherweise überlebte, und begann sie bei den Behörden vorzuschieben. Das gefiel den Kollegen schon gar nicht mehr und so waren sie auch weiterhin gegen eine Wiederaufnahme Ozlbergers, trotz seiner zahlreich wiederholten und auf die Dauer zermürbenden Interventionen.
Am 11. Jänner 1950 nahm der Leitende Ausschuss die, wie man glaubte, restlichen, 1945 gestrichenen Kollegen wieder auf:

Angerhofer Robert
Cech Johannes
Frass Wilhelm
Greyer Ernst
Janesch Albert
Kammerer Marcell
Löffler Berthold
Revy Heinrich
Stoitzner Siegfried
Wettach Reinhold

Dies war vor dem gesetzlich festgelegten Zeitpunkt 30. April 1950, womit man demonstrieren wollte, dass es sich bei diesen Kollegen nicht um “belastete” im Sinne des Gesetzes, sondern noch um “minderbelastete” handelt, die ohnehin schon seit langem wieder ordentliche Mitglieder sein könnten.

Doch da passierte eine Panne. Nachdem seit der Aufnahme vom März 1948 schon fast zwei Jahre vergangen waren, hatte man die Entnazifizierungsfrage im Trubel anderer neuer politischer Probleme im Ausschuss bereits verdrängt. So zeigte sich bald, dass man bei der Jänneraufnahme 1950 einige weit weniger belastete Kollegen vergaß, als die wieder aufgenommenen Janesch und Löffler es waren. Was nun? Glücklicherweise konnte man sich im Ausschuss an die blockweise und nicht einzeln abgestimmte Aufnahme von 1948 doch erinnern und – ausreden. Den vergessenen Kollegen wurden am 6. Februar 1950 Briefe geschickt, in denen man ihnen ihre Aufnahme vom 17. März 1948 bestätigte. Es sollte der Anschein erweckt werden, als ob die damalige Benachrichtigung irgendwo auf der Post verlorengegangen wäre, was damals auch tatsächlich öfters passiert war, dokumentiert bei Dr. Erwin Ilz. Es handelte sich um folgende Kollegen:

Bröckl Emil
Klaus Reinhold
Kutschera Hermann
Rezac Johann

Ihre Wiederaufnahme gilt als offiziell mit dem 17. März 1948, obwohl es sich eindeutig um eine Rückdatierung vom Februar 1950 handelt. Somit war die Frage der Entnazifizierung für das Künstlerhaus im Frühjahr 1950 im Großen und Ganzen von Amts wegen erledigt. Nicht erledigt blieb die Frage der einstigen Weltanschauung in persönlichen Beziehungen. Manche der ehemaligen NSDAP-Parteimitglieder hatten unter ihrer einstigen Einstellung, obwohl sie sich selbst sonst nichts zu Schulden kommen ließen und nur an eine schönere Zukunft hofften, noch lebenslang zu leiden. Ebenso die Überlebenden der einst Vertriebenen, nur die wenigsten fanden in ihre alte Heimat zurück oder fühlten sich hier wohl. Das persönlich Erlebte und die Erinnerungen saßen doch zu tief.

Offen blieb nur noch das Problem Ozlberger. Am 22. Februar 1950 beschloss der Ausschuss, dass sich Ozlberger vor seiner Wiederaufnahme einem Ehrenratverfahren unterziehen müsste, womit er einverstanden war. Die Akten eines Verfahrens sind im Künstlerhausarchiv jedoch nicht auffindbar, wodurch anzunehmen ist, dass es zu keinem Verfahren kam. Anscheinend durch die Uninformiertheit neuer Funktionäre oder wahrscheinlicher durch ihr Desinteresse an der Sache wurde Ekke Ozlberger dann doch als letzter der ehemaligen Nazis – ohne des vorgeschlagenen Ehrenratverfahrens – am 30. Mai 1952 wiederaufgenommen. Er starb 1963.