In dem Maße wie sich die allgemeine soziale Lage der Bevölkerung besserte, besserte sich auch der soziale Stand der bildenden Künstler. Ab den fünfziger Jahren konnte man allgemein kaum mehr von Hunger sprechen, die größten Kriegsschäden waren Dank der großen Anstrengungen der Aufbaugeneration beseitigt und auch mit der Bekleidung wurde es besser. Trotzdem lagen die bildenden Künstler wirtschaftlich, statistisch gesehen, immer noch weit unter dem Durchschnitt der Österreicher.
Ab dem 1. Jänner 1956 galt auch für sie das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz ASVG. Vom Künstlerhaus waren darin aber nur 111 Künstler voll versichert. Zur Verbesserung dieser Sozialversicherung, der ersten gesetzlichen überhaupt, entstand ein “Aktionskomitee der Künstlervereinigungen zur Novellierung des ASVG”, dem dann tatsächlich auch vieles gelang.1
Nach der Hauptversammlung vom 6. Mai 1960 bildete sich im Künstlerhaus die erste größere Opposition der Neuzeit: 42 Mitglieder fühlten sich vom Ausschuss nicht gut vertreten. Es kam zu persönlichen Anfeindungen, einer “Verleumdungsaffäre” gegen den Präsidenten Rudolf H. Keppel und zu einem Ehrenratsverfahren gegen drei Mitglieder. Ein “Versöhnungsausschuss” wurde gebildet, die Ausstellungskommission bremste Neuaufnahmen. Erst 1962 beruhigten sich die Wogen, deren Ursache hauptsächlich in persönlicher Rivalität ohne viel Hintergrund lag.2
Weitere kurzfristige Spaltungen entstanden Ende der sechziger Jahre im Zusammenhang mit dem Wirken von Frau Generalsekretär Inge Zimmer-Lehmann und dann einige Male unter der Präsidentschaft von Hans Mayr. Abgesehen von einigen demonstrativen Austritten blieben sie für das Haus ohne langfristige Folgen. Unter den Präsidenten Kodera und Nehrer gab es keine Palastrevolutionen, obwohl gerade das Duo Nehrer-Rothauer das Haus zu Zeiten des allgemeinen Wohlstandes in eine der schwersten Wirtschaftskrisen der Vereinsgeschichte führte.
Die Mitgliedsbeiträge betrugen nach der Währungsreform 1947 zehn Schilling; sie wurden erst langsam erhöht: 1956 auf 20.-, 1963 50.-, 1970 100.-, 1975 200.-, 1978 500.- Schilling (ATS). Diese niedrigen Beiträge blieben über mehrere Jahre stabil, obwohl es sogar mehrmals Stimmen für eine radikale Erhöhung gab. So plädierte Hans Mayr am 18. Juni 1974 für 1000 Schilling, der Rechtsberater Dr. Walter Schuppich am 3. März 1978 für 1200 Schilling.
Die eingefrorenen Mitgliedsbeiträge bekamen im Laufe der Jahre einen eher symbolischen Charakter – trotzdem waren diese relativ geringen Zahlungen manchen Künstlern auch noch zu viel. In den letzten Jahren der Präsidentschaft Hans Mayr wurde von den Kollegen deshalb verstärkt die Möglichkeit einer Zahlung durch Kunstwerke genützt. Das war ein soziales Entgegenkommen des Hauses, denn die übergebenen Werke blieben unverkäuflich, belasten die Depots und entsprachen in ihrem tatsächlichen Marktwert keineswegs der von ihren Schöpfern angegebenen Höhe. Eine Überprüfung durch Kollegen oder Schätzmeister, wie es im Interesse des Hauses in der „grauen Vergangenheit“ der Genossenschaft üblich war, fand und findet nicht statt.
Zur Erhöhung auf 1000 Schilling Jahresbeitrag kam es erst in der Hauptversammlung am 25. November 1994. Sie führte zum Austritt einiger Kollegen; mehrere – sogar persönlich sich beleidigt fühlende Mitglieder traten im Zusammenhang mit der gleichzeitig durchgeführten Mahnaktion der säumigen Beiträge aus; nur die wenigsten beglichen vorher ihre, oft sogar mehrjährigen Schulden. “…Möchte ich meiner Verwunderung darüber Ausdruck geben, dass ich immer noch Mitglied bin, obwohl ich ungemahnt seit etwa 10 Jahren keinen Mitgliedsbeitrag bezahlt habe. Ihre ständigen Zuschriften und Ausstellungseinladungen habe ich für Adressierungsautomatismus gehalten, wie er aus Werbe- und Statusgründen heute von vielen Institutionen absichtlich gepflogen wird…”3
“Bisher hatte ich den Eindruck, dass die Materialzusendungen sowieso aus dem Budget der Gesellschaft aus ihrem Subventionstopf bezahlt werden und somit kostenlos sind… Teile ich Ihnen mit, dass ich mit sofortiger Wirkung austrete. Ich bitte Sie mich nicht weiter mit irgendwelchen Zahlungen zu belästigen. Auf Nimmerwiedersehen…”4
Solche Künstlerhausmitglieder waren keine Ausnahme; das Unrechtsbewusstsein der gesamten Öffentlichkeit ging nach und nach verloren, die Zahlungsmoral war in diesen Jahren maßlos gewordener staatlicher Subventionspolitik politisch genehmer Aktionen stark gesunken. Vielen Mitgliedern war überhaupt nicht mehr klar, dass es sich beim Künstlerhaus um einen unabhängigen, sich selbst finanzierenden Verein handelt und zeigten sich überrascht, dass man von ihnen überhaupt irgendwelche Beiträge haben wollte. Dabei waren die tausend Schilling immer noch nur ein Bruchteil des in der Monarchie üblichen Jahresbeitrags von umgerechnet heute 230 €. Nach der Währungsumstellung 2002 betrug der Mitgliedsbeitrag 75 Euro und beträgt es 2010 auch noch.
Die Jahresmitgliedsbeiträge der übrigen österreichischen Kunst- und Künstlervereine waren recht unterschiedlich, sie hingen mit ihrer Organisation, Vermögensstruktur und der Art ihrer Finanzierung und Subventionierung durch die öffentliche Hand zusammen. 2008 verlangte die Wiener Secession die geringsten Beiträge: 15 €, am teuersten war der Künstlerbund Graz mit 120 € jährlich. Dazwischen lagen das Künstlerhaus Palais Thurn und Taxis Bregenz mit 26 €, der Kunstverein Salzburg mit 35 €, der Kunstverein Kärnten mit 36 €, der Verein Tiroler Künstlerschaft mit 40 € und der Kunstverein Vorarlberg mit 70 €.
Am 2. Juni 1958 wurde freier Eintritt für Bundesheersoldaten in Uniform beschlossen, am 26. Februar 1963 für Akademiestudenten. Solche und ähnliche Begünstigungen gab es zeitweise schon in der Vergangenheit, man hatte auf sie nur inzwischen vergessen. Das “Vergessen” spielte aber auch dort eine Rolle, wo man manche, vielleicht unpopuläre Dinge einführen wollte und zur leichteren Durchsetzung Traditionen vortäuschte, die es nie gab. So entstand Ende der fünfziger Jahre etwa der angebliche “Anspruch” des abtretenden Präsidenten auf eine retrospektive Ausstellung seiner Werke.
Im Jänner 1970 versuchte man anlässlich der Suche nach neuen Einnahmequellen für den Wohlfahrtsfond die jeweiligen Preisträger an die “Gewohnheit zu erinnern”, nach einer erhaltenen Auszeichnung den hauseigenen Fonds eine entsprechende Zahlung zukommen zu lassen. Bei der Verleihung des Professorentitels sprach man von tausend Schilling. So eine Tradition gab es natürlich nicht, wenn auch manche Mitglieder tatsächlich in der Vergangenheit als Zeichen ihrer Freude und Dankbarkeit dem Haus eine großzügige Spende überwiesen haben; solche Widmungen gab es auch beim Abschluss bedeutenderer Aufträge oder Verkäufe. Oft verzichteten die Hausarchitekten oder Ausstellungsgestalter auf einen Teil ihres Honorars, jedoch stets von sich aus, freiwillig und stets im Hinblick auf den wohltätigen Zweck der Spende.
In der Hauptversammlung am 12. Jänner 1972 wurden vereinfachte Mitgliedsaufnahmemodalitäten beschlossen; die bis dahin obligatorische Zustimmung der Hauptversammlung wurde nicht mehr verlangt. Damals entstand auch die vierte Sektion der Kunstgewerbetreibenden, die in folgenden Jahren einen raschen Aufschwung nahm. Zehn Jahre später kam noch die Sektion der Filmschaffenden hinzu. Ab 2007 gab es ein Mitgliederaufnahmekomitee mit je zwei Vertretern aus allen Sektionen. In der Hauptversammlung am 19.11.2008 wurden die Fachsektionen durch sogenannte „Bereiche“ ersetzt.
Auf der anderen Seite ging das Vereinsleben sowie das Zusammengehörigkeitsgefühl der Mitglieder nach und nach zurück, das Künstlerhaus wurde immer mehr zu einer reinen Ausstellungshalle für fremde Präsentationen. Das Personal, das man früher kannte und von dem man schon als „Meister“ von weitem begrüßt wurde, ist anonym geworden, es wechselt nun auch sehr oft. Waren früher viele Mitglieder auch im Sekretariat tagsüber ohne jeden triftigeren Grund häufig anzutreffen, wo sie etwa einen Kaffee tranken, den hauseigenen Kopierer oder auch das Telefon benützten, so verschwanden sie von dort wegen der zunehmenden, unpersönlichen Bürohektik. Eine früher nicht gekannte Entfremdung der Mitglieder untereinander sowie des Personals machte sich breit. Nach dem Regierungswechsel 2000 kamen noch divergierende, kurzsichtige politische Ansichten dazu, die Reibungsflächen boten.
Heute gibt es keine Serviceleistungen für eigene Mitglieder mehr, kein zwangloser Informationsaustausch. Die einst begehrte Ankündigungstafel für eigene, persönliche Mitteilungen, wie Ateliersuche oder Materialverkauf gibt es nicht, ebenso wenig bekommt man im Sekretariat Auskunft über verkäufliche Werke des einen oder anderen Künstlers oder dessen Arbeitsgebiet; Verkäufe oder Aufträge für Mitglieder werden nicht vermittelt. Verlassenschaften alleinstehender Künstler und Kunstfreunde, die früher das Haus in zahlreichem Maße bekam und wesentlich zur Stabilität der diversen Fonds beitrugen, verbleiben heute dem Staat. Es gibt im Künstlerhaus keine gebrauchten Staffeleien mehr zu haben, keine Rahmen, keine Leinwand, keine Lithographiesteine, keine Kupferplatten; keine Ateliers zu übernehmen. Von einem Vereinsleben, dem gesellschaftlichen Verkehr, wo der Künstler seine Kunden, ja sogar spendablen Mäzene traf, kann man im Künstlerhaus von heute nicht mehr sprechen. Auch die sporadisch einberufenen Mitgliederabende dienen kaum der ungezwungenen Geselligkeit oder der Anbahnung wirtschaftlicher Kontakte zwischen Schöpfer und Abnehmer.
Unter Präsident Nehrer wurden sogar bei eindeutigen Hausaufträgen fremde Künstler, vor allem Architekten, Fotografen und Designer, nicht nur beschäftigt, sondern ausgesprochen bevorzugt, auch Secessionisten. Ihnen blieb jedoch das Wesen des Künstlerhauses als Verein fremd und dementsprechend entwurzelt sah ihre Tätigkeit aus. Sie lieferten ihre Arbeit oder sogar nur Entwürfe wie für jeden anderen Kunden ab und pochten, manche dann auch gerichtlich, auf Bezahlung ihrer Honorare in solch astronomischen Höhen, wie sie die Künstlerhausmitglieder untereinander bisher nicht kannten.
Trotzdem sind nach wie vor viele Künstler an der Mitgliedschaft im Künstlerhaus interessiert. Statistisch gesehen nimmt die Zahl der künstlerisch Schaffenden innerhalb der Bevölkerung auch relativ zu – wobei nicht alle die bildende Kunst zum Hauptberuf machen; oft bleibt sie nur ihr, wenn auch zeitweise intensiv betriebenes Hobby. Die gegenwärtige Mitgliederaufnahme ist, trotz vereinfachter bürokratischer Hürden, relativ streng. Das alte Hauptproblem, dass Künstler über Künstler, dazu gleicher Sektion, entscheiden, blieb dabei bis heute bestehen. Dies schlägt sich auch in den, einem Außenstehenden oft unverständlichen Ablehnungen auch guter, meist junger Berufskünstler, die an ihrer Karriere erst arbeiten, nieder.
Heute wird der Antrag zur Aufnahme in der Regel durch ein Hausmitglied befürwortet – es ist meist ohnehin der Vorschlagende. Diesem Antrag muss ein Formular mit Angaben zum künstlerischen Lebenslauf beigeschlossen werden. Die Sitzungen, welche über die Aufnahmen beraten, finden etwa dreimal jährlich statt. Einige Tage davor wird der Interessent eventuell noch gebeten, eine kleine Anzahl von Originalwerken sowie eine Dokumentationsmappe zur Sitzung einzusenden. Die Zeiten der Jahresausstellungen, wo man Gelegenheit hatte, die Arbeiten der Kollegen kennenzulernen, sind ja längst vorbei, ebenso jene der sogenannten „Permanenten“.
Spricht sich bei der Sitzung eine Zweidrittelmehrheit für die Aufnahme aus, so wird sie befürwortet und zur endgültigen Abstimmung an die nächste Vorstandssitzung weitergeleitet. Hier wird der von den Fachsektionen bzw. jetzt Bereichen vorgeschlagenen Aufnahme fast immer zugestimmt. Kommt in der Fachsektion / dem Bereich keine Zweidrittelmehrheit zustande, gilt der Antrag als abgelehnt und wird an den Vorstand gar nicht mehr weitergeleitet. Häufig fragen die Mitgliedschaftsbewerber gleichzeitig nach aktuellen Ausstellungsmöglichkeiten im Haus an. Grundsätzlich stehen ihnen die Kino-, Passage- und Hausgalerie offen; doch müssen dabei längere Wartezeiten in Kauf genommen werden.
Im Großen und Ganzen sind die bildenden Künstler der Gegenwart – trotz der großsprecherischen “Kulturpolitik”5 der Parteien und der Medien heute viel schlechter gestellt, als sie es im Eröffnungsjahr des Künstlerhauses 1868 waren. Gehörte das Künstlerhaus damals den Künstlern und ihren Freunden ganz allein – sie waren auch fähig die Hausfinanzierung selbst sicherzustellen -, so wird es heute oft durch fremde, mit der zeitgenössischen bildenden Kunst wenig, ja sogar nichts gemeinsam habende Vermietungen belegt – trotz der gegenwärtigen Künstlerinflation. In den seitlichen, seinerzeit für großformatige Kunst errichteten Sälen gibt es ohnehin schon seit Jahrzehnten ein Kino und ein Theater.
Ohne öffentlicher Subventionen des Staates, des Landes oder der Gemeinde, sprich dem Geld der Steuerzahler, geht heute nichts mehr; die vielen alten Kunstkenner, Kunstsammler und Käufer aus der Mittelschicht sind vom Markt verschwunden. Ihre Nachfolger, bis auf einige wenige Intellektuelle, kaufen kaum kostspieligere zeitgenössische Kunst – trotz des allgemeinen, noch nie da gewesenen Wohlstands. Viele Künstler schaffen in ihrem Egoismus am Verbrauchermarkt vorbei und sie werden vom breiten Publikum nicht akzeptiert.6 Zahlreiche Kunstwerke werden auch unwillkürlich zerstört, da sie das Publikum als solche nicht erkennt und ansieht; das betrifft vor allem die unwissenden Kommunalpolitiker, Bauherren, Bauarbeiter und die Müllentsorgung.
Die zeitgenössische “Kunst” hat mit der alten, klassischen in ihrer Suche nach allgemeiner, ewiger Schönheit wenig gemeinsam; oft handelt es sich um egoistische, eigenwillige, brutale, wenn auch oft kreative Spielerei, die von der Bevölkerung nicht verstanden und nicht erworben wird, mit der sie nichts anfangen kann.7 Dazu kommen die vielen neuen Ausdrucksformen, die überhaupt privat unverkäuflich sind, wie Computerkunst, Videos, Lichtdarstellungen, unförmige Objekte aus rasch vergänglichen Materialien, verblassende Farbfotografie. Die bildende Kunst ist schon seit langem keine „Ware“. Hier wäre statt “Kunst” eine neue Bezeichnung nicht schlecht, man sollte sich nach einem neuen, dem Inhalt entsprechenderen Wort umsehen.
Dafür entstand in den fünfziger Jahren die damals so benannte “Eissalonkunst” für den mit Sehnsucht erfüllten Normalkunden aus kitschigen Landschaften, womöglich mit romantischem Sonnenuntergang; aus der Alpen- und Jäger-, der liebevollen Genre- sowie der deutlich-erotischen Aktmalerei.8 Man stellte sie in den über den Winter geschlossenen italienischen Eissalons aus, daher ihre Bezeichnung. Aus diesen Eissalons entstanden in den folgenden Jahrzehnten eigene, ganzjährig eröffnete, meist auf Wohneinrichtung spezialisierte Galerien und sogar Supermärkte, die diese oft am Fließband entstandene “Kunst” im Großen und trotzdem nicht immer ganz preiswert vertreiben. Die auf alt getrimmten Cafés, Vergnügungsparks, Disneylands und Einkaufszentren in pseudohistorisierender Architektur drücken die Suche des Menschen nach einer heilen, schönen Welt ohne Auswüchse der Stararchitekten, ohne Ängste, ohne Schrecken, ohne Terroristen und Kriminelle, ohne Fremdenfeindlichkeit, nach der “guten alten Zeit” aus.