Durch Statuten vom 23. November 1923 wurde im § 6 ein Passus eingeführt, der den ordentlichen Mitgliedern verbot, gleichzeitig einer weiteren Künstlerorganisation in Wien anzugehören. Die Mitglieder durften außerdem ohne Wissen des Leitenden Ausschusses Ihre Werke zu keinen auswärtigen Ausstellungen mehr schicken.
Notwendig wurde diese Bestimmung durch die nach dem Zusammenbruch der Monarchie neu entstandenen radikalen Künstlerorganisationen, die nicht mehr mit dem Künstlerhaus konkurrieren bzw. es ergänzen wollten, sondern die sich direkt die Vernichtung der Genossenschaft zum Ziel gesetzt hatten. Die Radikalisierung des Wiener Lebens nahm so zu, wie man es vor 1914 nie für möglich gehalten hätte. Die Unruhen um die Bildung der Secession und des Hagenbundes waren nichts gegenüber den Problemen, vor denen die Genossenschaft um 1919 stand. Die Künstler der Jahrhundertwende hatten, trotz verschiedensten Meinungen und Arbeitsmethoden noch so viel Taktgefühl, um selbst beurteilen zu können, was tragbar war und was nicht. Dieses Gefühl ging der Allgemeinheit durch das Elend des Krieges und des Zerfalls der Monarchie völlig verloren, gleichzeitig mit dem allgemeinen Sittenverfall.
Die ersten in den Akten festgehaltenen Vermerke wegen unerwünschter Doppelmitgliedschaften kamen schon während des Weltkriegs im Zusammenhang mit dem “Österreichischen Künstlerbund”, einer 1906 gegründeten Künstlervereinigung. Bis dahin war alles klar, sowohl die Secessionisten wie auch die Hagenbündler haben sich deutlich abgegrenzt: Die wenigen Secessionisten, die ursprünglich noch in der Genossenschaft verbleiben wollten, traten mit dem berühmten Krach vom Mai 1897 aus. Andere suchten um die Mitgliedschaft gar nicht an, sie durften es ja nach den strengen Secessionsstatuten gar nicht.
Von sich aus hatte die Genossenschaft gegen die Doppelmitgliedschaften nichts einzuwenden; so führten etwa die gleichzeitigen – und allgemein bekannten – Mitgliedschaften im neuen Albrecht Dürer Verein bzw. dem Albrecht Dürer Bund zu keinerlei Kontroversen. Im Sommer 1916 fielen dem Leitenden Ausschuss aber die Doppelmitgliedschaften von Emanuel Pendl und Michael Six im Österreichischen Künstlerbund auf. Der Genossenschaft war der “Österreichische Künstlerbund” durch seine radikale Propaganda unangenehm aufgefallen. Man fürchtete, dass es durch diese Doppelmitgliedschaften zu unerwünschten Interessenkollisionen kommen könnte. Unternehmen konnte man gegen die Doppelmitgliedschaften nichts, da man statutenmäßig für solche Eventualitäten nicht vorbereitet war. Die Doppelmitgliedschaft dieser zwei Bildhauer gab aber dem Ausschuss den Anlass, sich mit diesem Problem zu beschäftigen.
Wirklich aktuell wurde die Frage aber erst durch die bereits erwähnte radikale Entwicklung nach dem Zerfall der Monarchie; im November 1919 hat man ein Komitee gebildet, das über die Doppelmitgliedschaften zu beraten hatte. Das Komitee stellte anschließend klar fest, dass Doppelmitgliedschaften der Genossenschaftsmitglieder unerwünscht sind und arbeitete die entsprechende Statutenänderung aus.
Den Statuten vom 23. November 1923 zufolge durfte von nun an kein Mitglied der Genossenschaft einer anderen Künstlervereinigung Wiens – die Betonung lag auf Wien, auswärtige Mitgliedschaften blieben davon unberührt – angehören. Davon betroffen waren zuerst die Mitglieder des „Österreichischen Künstlerbundes“, die dadurch in eine Zwangslage gerieten.
Allen voran Anton Hlavacek, der 1906 den Künstlerbund gegründet hatte, dessen Ehrenpräsident er war und 1922 anlässlich seines 80. Geburtstages wieder ordentliches Mitglied der Genossenschaft wurde (nachdem er im November 1873 wegen Beitragsschulden gestrichen worden war). Weitere Betroffene waren:
Bildhauer Friedrich Gornik, er war einer der Mitbegründer des Künstlerbundes und Mitglied der Genossenschaft ab 1907.
Bildhauer Hugo Franz Kirsch, Mitglied des Künstlerbundes ab 1906, wurde in die Genossenschaft 1921 aufgenommen.
Bildhauer Heinrich Scholz war ab 1919 Mitglied des Künstlerbundes und ab 1920 der Genossenschaft.
Bildhauer Hans Schefer war ab 1906 Mitglied der Genossenschaft und ab 1921 Mitglied des Künstlerbundes.
Bildhauer Adolf Wagner von der Mühl war ab 1922 Mitglied des Künstlerbundes, ab 1923 der Genossenschaft.
Bildhauer Franz Zelezny war Gründungsmitglied des Künstlerbundes 1906, bereits ab 1904 Mitglied der Genossenschaft.
In einem Schreiben vom 18. April 1923 ersuchten diese Mitglieder um eine Ausnahmeregelung, damit sie ihre Doppelmitgliedschaften beibehalten konnten. Der Ausschuss ging darauf nicht ein, den Betroffenen blieb nichts anderes übrig, als die Wahl zwischen der Genossenschaft und dem Künstlerbund zu treffen. Sie entschlossen sich für das Künstlerhaus; kein einziger der genannten Kollegen trat 1923 aus der Genossenschaft aus.
Weitere Doppelmitgliedschaften wurden 1925 entdeckt: mit einem Schreiben des Leitenden Ausschusses vom 21. Juni 1925 wurden 14 Kollegen, die Mitglieder des “Verbandes bildender Künstler Wiener Heimatkunst” waren, auf die Unzulässigkeit ihrer Doppelmitgliedschaft aufmerksam gemacht. Interessanterweise waren darunter auch Namen, die sich einst auch beim Österreichischen Künstlerbund fanden. Alle sollten nun die “Wiener Heimatkunst” verlassen, was sie auch taten; kein einziger Austritt aus der Genossenschaft wurde bekannt.
Die Beschränkung der Mitgliedschaften lag nicht in Aversionen gegenüber anderen Künstlervereinigungen. Mit den meisten Vereinen lebte die Genossenschaft ohnehin in Eintracht und hatte zeitweise sogar die verschiedensten Abkommen mit ihnen abgeschlossen, sogar mit den ehemaligen “Feinden”. So genossen damals etwa Mitglieder der Genossenschaft, der Secession, des Hagenbundes und der Kunstschau gegenseitig zu ihren Ausstellungen den freien Eintritt.1
Fünfzehn Jahre später, am 16. Jänner 1940, ist es den Mitarbeitern der nun auch in Wien tätigen Reichskammer der bildenden Künste aufgefallen, dass vier Genossenschaftsmitglieder gleichzeitig auch im Verzeichnis des “Vereins heimischer Künstler Klosterneuburgs” eingetragen waren. Auch diesmal nahm man dies zum Anlass, auf Unzulässigkeit der Doppelmitgliedschaften in den Mitteilungen hinzuweisen.
Mit den Statuten vom 22. Dezember 1976 wurde dieses Verbot der Doppelmitgliedschaften aufgehoben; dem Ausschuss war von nun an nur die Teilnahme an fremden Ausstellungen mitzuteilen – eigentlich aber nur zur Information der Kollegen, zu eigener Imagewerbung und ohne irgendwelchen Konsequenzen für die Mitgliedschaft. Die einst harten Fronten zwischen den einzelnen Vereinigungen haben sich weitgehend verwischt; die Bedeutungs- bzw. Orientierungsunterschiede einzelner Künstlervereine waren inzwischen unwichtig geworden und auch das Künstlerhaus war keine Berufs-Genossenschaft mehr.2
Somit ist es der Künstlerhausleitung von heute gleichgültig, ob die eigenen Mitglieder gleichzeitig Mitglieder auch noch in anderen Künstlervereinigungen sind und wo sie ausstellen. Das muß aber nicht heißen, dass die Künstlerhausmitgliedschaft anderen Vereinigungen ebenfalls gleichgültig ist. Vor allem die Secession erlaubt nach wie vor ihren Mitgliedern keine weiteren Mitgliedschaften.