Das Kriegsende 1945

Für das Künstlerhauspersonal, sowie die im Haus arbeitenden Mitglieder wurde zwar schon 1941 ein Luftschutzkeller eingerichtet, doch er bot keinen ausreichenden Schutz. Das Künstlerhaus ist mit seinem einzigen Stockwerk sehr niedrig; die Bomben explodierten nach den im Krieg gewonnenen Erfahrungen erst nach dem Durchschlagen von zwei Decken. Beim direkten Treffer am Künstlerhaus hätten sie also erst im Keller detoniert. Unzureichend waren aber auch andere Luftschutzkeller höherer Gebäude in der Nähe, wie die der Handelsakademie und der Technischen Hochschule. Zur Benützung dieser fremden Keller waren überdies besondere Legitimationen erforderlich.

Während das Künstlerhaus von allen Luftangriffen verschont blieb, explodierten Anfang Februar 1945 hinter der Secession drei Bomben, die fast zur Vernichtung des gesamten Gebäudes geführt hätten; zum Glück wurde die vergoldete, kaum zu ersetzende Blattkuppel dabei nicht direkt getroffen. Menschenleben waren keine zu beklagen; in der Secession befanden sich zu dieser Zeit nur Magazine der Saurerwerke mit Autoteilen, ein graphisches Studio und ein Büro des Reichspropagandaamtes. Die dort vorher auch eingelagert gewesenen leicht brennbaren Autoreifen wurden glücklicherweise nach scharfen Protesten R. H. Eisenmengers noch vor dem Angriff abtransportiert. So war es hauptsächlich diese Maßnahme Eisenmengers, der wir den Fortbestand des Secessionsgebäudes verdanken. Wegen der nach dem Krieg entstandenen radikalen Bewegung der Architekten „weg mit allem Alten“ wäre eine stärker beschädigte Kuppel sicher nie mehr rekonstruiert worden und die Secession selbst zum Abbruch bestimmt gewesen.

In den letzten Kriegstagen 1945 wurden vom Künstlerhauspersonal alle Wertgegenstände, soweit sie sich noch im Haus befanden1 und soweit es möglich war, im hauseigenen Keller zusammengetragen und verstaut. Das Gut, darunter Privateigentum der Mitglieder und Angestellten, wurde hinter einem Verschlag im untersten Keller untergebracht und konnte nur durch eine Falltür erreicht werden. Rudolf H. Eisenmenger, der sich auf einen kurzen Urlaub in Oberösterreich befand, kam am Karfreitag den 30. März nach Wien, obwohl zu dieser Zeit die Wiener Bevölkerung bereits umgekehrt fluchtartig die Stadt in Richtung Westen verließ. Im Künstlerhaus selbst verblieben auch die Nächte hindurch zwölf Personen, die sich im Keller mit Betten, Radio, Öfen und dem notwendigsten niedergelassen hatten. Es waren meist Hausangestellte mit ihren Familienangehörigen. Der Wirt sorgte für Verpflegung, von der im Krieg eingerichteten und betriebenen Werksküche hatte man noch ein relativ reichhaltiges Lebensmittellager.

Während der Kampfhandlungen um den 9.-11. April wurden auf den Straßen beiderseits des Künstlerhauses Barrikaden aufgestellt. Als die Kämpfe aufhörten, sah man rund herum viel Kriegsgerät, tote Pferde und tote Soldaten sowohl in deutschen als auch russischen Uniformen. Die Wiesenflächen sowie die Parkanlagen vor dem Künstlerhaus wurden zum Heereslager der Roten Armee. Die sowjetischen Soldaten drangen in das Künstlerhaus ein, fanden die eingelagerten Autoteile und bewachten sie dann. Durch diese sowjetische Militärwache wurde das Haus vor Plünderungen des Straßenplebs gerettet. Nur die ersten Kampftruppen gingen bei der Hausdurchsuchung nicht gerade zimperlich vor. Schränke und Kisten wurden aufgebrochen, ihr Inhalt am Boden verstreut. Von Soldaten eingebrochen, durchsucht und dann auch vom Straßenplebs geplündert wurden dagegen zahlreiche verlassene und dann unversperrt gelassene Wohnungen in den umliegenden prachtvollen Zinshäusern der Ringstraßenzeit.

R. H. Eisenmenger, der in der nahen Wohllebengasse2 übernachtete, kam täglich ins Künstlerhaus und brachte die Büroräume mit einer Sekretärin nach und nach wieder in Ordnung. Die zwölf Kellerbewohner mussten das Künstlerhaus nach dem Einzug der russischen Truppen allerdings verlassen; über Nacht blieb nur der Hausarbeiter Heinrich Kirchheiser. Bald konnte unter der Leitung Eisenmengers der Sekretariatsbetrieb wieder aufgenommen werden; viele Rat und Schutz suchende Künstler fanden im Künstlerhaus die erste Ansprechstelle, die erste Hilfe. R. H. Eisenmenger, der 1939 nicht gewählt, sondern in seiner Funktion vom Präsidenten der Reichskunstkammer Leopold Blauensteiner eingesetzt wurde, und dem außer seiner Parteimitgliedschaft niemand etwas schlechtes nachsagen konnte, schlug während einer Besprechung im Rathaus dem neuen Stadtrat der Verwaltungsgruppe Kultur und Volksbildung, Dr. Viktor Matejka, den politisch unbelasteten und öffentlich noch nie hervorgetretenen Maler Karl M. May als Nachfolger vor. Matejka ging auf diesen Vorschlag sofort ein, May wurde am 26. April 1945 zum neuen kommissarischen Leiter des Künstlerhauses ernannt.

Das Kriegsende von 1945 war mit dem von 1918 nicht zu vergleichen. Das Künstlerhaus konnte für seine Mitglieder diesmal weit weniger tun, als nach dem Ende des Ersten Weltkriegs. Es gab Mangel an allem, die Stadt war weitgehend zerstört. Das Künstlerhaus konnte vorerst hauptsächlich nur als Information- und Vermittlungsstelle dienen, sei es bei der Arbeitssuche und Auftragsvergabe oder später auch bei der Wohnungs- und Ateliersuche. Eigene Verkaufsausstellungen gab es kaum, dem Haus wurden politische Präsentationen aufgezwungen. Die wichtigsten privaten Auftraggeber waren sowjetische Offiziere, die an ihren eigenen Porträts interessiert waren. Sie zahlten dafür mit Lebensmitteln, der besten Zahlungsform, die es damals gab. Während noch bis zum Kriegsende die durchorganisierte Lebensmittelversorgung halbwegs funktionierte, kam im Herbst 1945 die große Hungersnot. Wien hungerte und fror; berühmt wurde die – später auf eine Schallplatte aufgenommene – Weihnachtsrede des Bundeskanzlers Figl.

Was die Mitglieder betrifft, so frequentierten das Künstlerhaus nach dem Kriegsende alle, die es hinzog. Der von der Gemeinde zur provisorischen Führung der Gesellschaft ernannte kommissarische Leiter Karl Maria May erwartete jedenfalls, dass sich alle am Künstlerhaus interessierten Mitglieder, auch die nach 1938 emigrierten und verfolgten, selbst melden würden. Das geht aus seinem ersten an alle bekannten Adressen am 14. Mai 1945 verschickten Rundschreiben hervor; man war technisch nicht in der Lage sofort Nachforschungen nach verschollenen Mitgliedern zu beginnen und an jedes einzelne Mitglied unbekannten Aufenthaltes persönliche Briefe zu schreiben. Dazu kamen auch politisch bedingte Straßen- und Ortsumbenennungen; fremde Postverwaltungen weigerten sich deutsch adressierte Sendungen zu befördern. Nicht nur, dass man die neuen Adressen nicht kannte: die Post- und Verkehrsprobleme über die Zonen hinweg, die Arbeitsüberlastung des übriggebliebenen Hauspersonals sowie der Papier- und Schreibwarenmangel dauerten lange an.

May begrüßte in seinem Rundschreiben vom Mai 1945 vor allem “alle jene Kollegen, die durch die Unduldsamkeit der nationalsozialistischen Partei aus dem Künstlerhause im Jahre 1938 ausgeschieden sind. An sie richte ich die Bitte, ihre wertvollen Kräfte dem Hause wieder zur Verfügung stellen zu wollen”.3 Alle 1938 und später ausgeschiedenen Kollegen wurden als Mitglieder betrachtet, als ob ihre Mitgliedschaft nie unterbrochen worden wäre; sie wurden ja nie ausgeschlossen. Ausschluss ist etwas ehrenrühriges, das traf in ihrem Fall nicht zu.
Die 1939 eingeführten administrativen Evidenzkarten4 wurden jedoch nur für diejenigen Kollegen neu angelegt, die sich im Künstlerhaus meldeten bzw. mit denen man selbst wieder in Kontakt kam; so z. B. etwa für den Architekten Egon Riss, der an das Künstlerhaus am 25. März 1946 aus Schottland schrieb. Er war während des Krieges Offizier der Royal Army und konnte sich in Großbritannien eine neue Existenz aufbauen. Riss bekam 1946 eine neue Evidenzkarte, die dann aber leer blieb, da Riss in Schottland lebte und sich am Geschehen im Künstlerhaus nicht weiter interessiert zeigte.5 Im Mitgliederverzeichnis von 1950 ist er nicht angeführt; er starb 1964.

Als Präsident Karl Maria May erfuhr, dass das korrespondierende Mitglied der Maler Victor Hammer aus den USA nach Österreich zurückkehren wollte, begrüßte er Hammer in seinem Telegramm vom 16. Juli 1946 als “aufrechten Menschen”. Doch Hammer erlitt zu dieser Zeit eine Herzattacke, blieb in den USA und kam nicht. Über die Künstlerhaus-Telegramme und Briefe zeigten sich Hammer und seine Frau jedoch sehr erfreut.6 Die in Wien lebende Tochter Hammers hatte ihm von den Zerstörungen, dem Wohnungsmangel und der allgemeinen Nachkriegsnot Europas berichtet; Österreich und Deutschland waren überdies von vielen Soldaten besetzte Länder. Das waren die wichtigsten Beweggründe nicht nur Hammers, sondern auch anderer Emigranten in den wohlhabenden und über genug Lebensmittel verfügenden USA und dem übrigen wirtschaftlich besser stehenden, vom Krieg nicht zerstörten Ausland zu verbleiben.

Die seinerzeit gestrichenen Mitglieder, die sich nach Kriegsende an das Künstlerhaus gewandt hatten, wurden bei allen sozialen Hilfsaktionen bevorzugt behandelt; so etwa Anton Endstorfer, Florian Josephu, Otto Prutscher oder Hans Witt. Im Februar 1947 versuchte das Künstlerhaus von sich aus gezielt Kontakte zu allen emigrierten Kollegen herzustellen, mit denen man bisher nicht in Verbindung kam. In einem Rundschreiben vom 28. Februar 1947 bat Karl M. May alle Mitglieder um Mithilfe bei Nachforschungen nach den Verschollenen und wenn möglich, um ihre neuen Adressen. Die Kollegen, deren Aufenthaltsorte man auf diese Weise erfahren hatte, wurden persönlich angeschrieben. Manche antworteten nicht, andere, die diese Schreiben erreichten, zeigten sich erfreut. Ihr Mitwirken am Künstlerhausleben blieb dann aber – schon durch die Entfernung bedingt – meist recht gering.