Die Präsidentengalerie

Nachdem im Frühjahr 1894 die Stiftersaaleinrichtung in das Parterre verlegt wurde,1 blieben in der alten Wandtäfelung im ersten Stock, dem heutigen Ranftlzimmer, die Öffnungen der dort entfernten Bildnisse leer, nur die unverputzte Ziegelmauer dahinter wurde provisorisch durch getönte Kartons verdeckt. Rein zufällig und ohne an diese leeren Stellen zu denken, machte am 3. März 1902 der Architekt Wilhelm Fraenkel den Vorschlag, “man möge eine Galerie der Vorstände der Genossenschaft, sei es schon in Gemälden oder als Plastiken, anlegen”2. Die Idee wurde in der Versammlung am 26. April 1902 einstimmig angenommen und der Leitende Ausschuss mit der Durchführung beauftragt.

Der Vorschlag Fraenkels war allerdings nicht neu: schon 1882 bot Wilhelm Vita an, selbst Porträts der Vorstände unentgeltlich malen zu wollen. Sein idealistischer Vorschlag, der jedoch keine Arbeitsbeschaffung für weitere Kollegen beinhaltete, wurde damals “zur Kenntnis” genommen und somit ad acta gelegt.3 Man wusste auch nicht, wohin mit einer solchen Galerie.

Im Jahre 1902 hatte man für diese Gemälde allerdings Platz: die alten Öffnungen der entfernten Stifterbildnisse. Rasch wurde eine Liste aller bisherigen Vorstände zusammengestellt und die Maler unter den Genossenschaftsmitgliedern zur Mitarbeit aufgefordert. Ein Porträt hatte man bereits: die von 1868 stammende Marmorbüste des Architekten Friedrich Stache’s von Franz Pönninger. Obwohl es sich um eine Plastik handelte, glaubte man mit ihr ausnahmsweise auskommen zu können; sie befand sich ohnehin fast ständig auf dem Kaminsims im alten Stiftersaal, der nun zu einem Saal der Vorstände umfunktioniert werden sollte.

Doch nach kurzer Zeit drohte dieses Vorhaben wieder in Vergessenheit zu geraten. Da schickte am 5. März 1905 der Maler Fülöp E. László ein Gemälde des Baurates Andreas Streit der Genossenschaft mit der kurzen Mitteilung zu, dass es sich um eine Widmung für die künftige “Präsidentengalerie” handelt. Der etwas überraschte Ausschuss dankte mit herzlichen Worten; Laszlo war der erste und dann auch noch für längere Zeit der einzige Künstler, der dem Aufruf von 1902 folgte. Sein Gemälde in der Größe der Stifterbildnisse wurde noch kurzfristig in die eine Woche später zu eröffnende 32. Jahresausstellung eingereiht.4

Erst nach zwei Jahren, im Herbst 1907, erinnerte sich der Ausschuss an die Galerie der Vorstände wieder und verschickte nun an einzelne Künstler persönlich gehaltene Bittschreiben.5 Da man die Bildnisse in der Wandtäfelung des alten Stiftersaals unterbringen wollte, lehnte man nun von Anfang an Angebote von Plastiken ab, so etwa des Bildhauers Rudolf Weyr, der seine eigene Büste widmen wollte.6 In der Lambrie war Platz für 32 Bildnisse. Bis 1907 hatte die Genossenschaft nur 21 Vorstände gehabt, davon war Stache bereits in Marmor ausgeführt; somit war auch genug Raum für die Zukunft vorhanden.

Diesmal hatte man mit den persönlichen Aufforderungen Erfolg. Bald kamen nicht nur Zusagen, sondern auch die Gemälde selbst. Merkwürdigerweise wurde bei der Erstellung der Liste einer der frühen Vorstände vergessen: der Architekt Anton Hefft, + 1900, Vorstand von 12.11.1864 bis 18.11.1865. Ein Porträt von ihm wurde deshalb vom Ausschuss auch nicht angefordert, was niemandem auffiel; nicht 1907, nicht 1909-1910 bei der Montage der bereits eingetroffenen Porträts und auch nicht später. Erst im Mai 1934 kam die Genossenschaft in den Besitz eines Hefft-Bildnisses. Es handelte sich um eine Widmung von Frau Ernestine Leonhard, gemalt von August George-Mayer.7 Doch auch jetzt wurde Hefft nur als Gründer angesehen und deshalb nicht im alten Stiftersaal – nunmehrigen Präsidentensaal (dann Ranftlzimmer / Salon) – sondern im Arbeitszimmer des Präsidenten neben dem Sekretariat im Parterre aufgehängt.

Die ersten der nach und nach ins Haus eingelangten Bildnisse wurden im Winter 1909-1910 montiert, wobei natürlich noch viele Lücken blieben.8 Ähnlich, wie bei den Stifterbildern, wurden auch diese Gemälde der Genossenschaft von ihren Schöpfern gewidmet; die Künstler erhielten auf Verlangen nur die Materialkosten ersetzt. Originalgemälde “nach der Natur” konnte es allerdings nur noch von den lebenden Vorständen geben, bei verstorbenen musste man sich durch ältere Vorlagen und Fotografien aushelfen: so entstand das Bildnis von Josef M. Trenkwald nach einer Fotografie, das von Alois Schönn nach einem Aquarell, das von August von Sicardsburg nach einer Fotografie und einem Stahlstich. Dieses “Kopieren” hat mehrere Maler zum Aufgeben bewogen, die es unter ihrer Würde empfanden, anders als nur nach lebenden Modellen zu arbeiten.9

Die im Frühjahr 1910 zum ersten Mal gezeigte Galerie der Vorstände10 wurde bis 1943 regelmäßig ergänzt und bestand zum Schluss aus 26 Porträts.11 Ende 1943 wurden die Bilder wegen der zunehmenden Bombengefahr aus der Wandtäfelung herausgenommen und zusammen mit anderen Kunstwerken im Jänner 1944 im fürstlich Rohan’schen Schloss Albrechtsberg, einige Kilometer östlich von Melk, gelagert. Nachdem dieses Gebiet im April und Mai 1945 durch die Rote Armee besetzt wurde, kam es zur Plünderung des Schlosses, wobei die gesamte Präsidentengalerie dabei wahrscheinlich vernichtet wurde – sie gilt seither als verschollen. Wären die Bilder im Künstlerhaus geblieben, wäre ihnen nichts geschehen.

Die im Künstlerhaus nun wieder “nackte” Mauer des Präsidentensaals wurde noch 1944 innerhalb der Goldrahmen mit Stoff bespannt. Bei der Renovierung des Ranftlzimmers – so nannte man diesen Saal ab 1954 – in den fünfziger Jahren wurden die Goldrahmen entfernt und statt ihnen über der Lambrie breite Holzplatten mit den Namen der Vorstände und Präsidenten montiert; die Inschriften stammten von Viktor Hammer.

Da die Platten größer als die alten Rahmen waren und jede außerdem über zwei Öffnungen ging, passten sie sich dem Gesims an und man wurde an die fehlenden Bilder optisch gar nicht mehr erinnert. Als 1975 diese Platten während einer neuerlichen Instandsetzung des Ranftlzimmers entfernt wurden, fand man überraschenderweise hinter ihnen die alten ausgeschnittenen Originalöffnungen. Nun suchte der Archivar nach den dazu passenden Goldrahmen mit abgerundeten Ecken und wurde auch in einem Souterraindepot fündig. So stand einer Wiederbelebung bzw. Rekonstruktion des Ranftlzimmers im ursprünglichen Aussehen des alten Stiftersaales nichts im Wege. Die Rahmen wurden durch Martin Kupf restauriert und statt der nicht mehr vorhandenen Präsidentenbildnisse 32 ausgewählte, ebenfalls gereinigte und restaurierte Stifterbildnisse an deren Stelle angebracht.12

Übersicht der seit 1945 vermissten, vielleicht in die Sowjetunion entführten, wahrscheinlich jedoch in Albrechtsberg vernichteten Präsidentengalerie

  • Porträt des Vorstands August von Sicardsburg, ausgeführt von Lazar Krestin 1908 nach Fotografien und einem Stahlstich
  • Friedrich Friedländer, gemalt von Leo B. Eichhorn 1907-1908 nach einem Gemälde von Aristides Oeconomo
  • Alois Schönn, gemalt von Karl M. Schuster 1907 nach einem Aquarell
  • Eduard Engerth, von Emanuel Baschny 1907
  • Josef Selleny, von Wilhelm V. Krausz 1907
  • Heinrich Angeli, von John Q. Adams 1907
  • Siegmund l’Allemand, Selbstporträt 1908
  • Eduard von Lichtenfels, von Othmar Ruzicka 1907
  • Rudolf von Alt, von Anton H. Karlinsky 1908
  • Eugen Felix, von Eduard Lebiedzki, 1908 Widmung der Malerin Ida von Gutmann
  • Friedrich Schilcher, von Hermann Torggler, 1912; ursprünglich von Ludwig Koch versprochen
  • Carl Frhr. v. Hasenauer, von Carl Duxa 1907-1908
  • Hans Makart, von Alois H. Schram 1910
  • Andreas Streit, von Fülöp A. Laszlo 1904-1905
  • August Schaeffer, von Auguste Schaeffer von Wienwald 1908
  • Friedrich Frhr. v. Schmidt, von Karl Gsur 1907 nach Heinrich Angeli
  • Franz Roth, von Louis Uhl 1907
  • Josef M. Trenkwald, von Robert Schiff
  • Julius Deininger, von Nikolaus Schattenstein 1908
  • Rudolf Weyr, von Rudolf Swoboda 1909
  • Hugo Darnaut, von Heinrich Rauchinger 1919-1921, Zweitfassung eines bereits bestehenden Bildes
  • Hans Ranzoni, von Hans Schachinger 1925-1935; ursprünglich von Wilhelm V. Krausz versprochen; Schachinger 1925 beauftragt. Nach der Ablieferung 1936 wurde das Bildnis nicht aufgehängt, laut Franz Kaym sah sich Ranzoni nicht ähnlich
  • Ernst Hegenbarth, von Leo Perlberger 1925; ursprünglich von Viktor Scharf versprochen
  • Otto Schönthal, von Karl Gsur 1935
  • Alexander D. Goltz, von Ekke Ozlberger 1935
  • Leopold Blauensteiner, von Rudolf Böttger 1939.

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