6. Mitglieder

Der Beginn 1861

Wie bereits im 1. Band1 der Künstlerhausgeschichte ausführlich dargestellt, entstand die “Genossenschaft der bildenden Künstler Wiens”2 im Jahre 1861 durch den Zusammenschluss der Vereine “Albrecht Dürer” und “Eintracht”, deren Mitglieder, soweit sie es wollten, zu Mitgliedern der neuen Genossenschaft wurden. Die Bereitwilligkeit der neuen “Genossenschaft der bildenden Künstler Wiens” beizutreten dokumentierten diese Mitglieder feierlich am 29. April 1861 durch ihre Unterschrift auf dem noch handgeschriebenen Statutenentwurf, der sich bis heute im Künstlerhausarchiv erhalten hat. Die “Genossenschaft der bildenden Künstler Wiens” betrachtete sich außerdem als ein „Lokalverein“ unter vielen der 1856 entstandenen großen “Allgemeinen Deutschen Kunstgenossenschaft”. Dass die “Eintracht” ausschließlich aus bildenden Künstlern bestand, während der “Albrecht Dürer Verein” unter seinen Mitgliedern auch zahlreiche Kunstfreunde besaß, machte keine Probleme; im Statutenentwurf vom April 1861 wurde darauf Rücksicht genommen und die Genossenschaftsmitgliedschaft in ordentliche und außerordentliche geteilt. Zu ordentlichen Mitgliedern konnten ausschließlich bildende Künstler werden, Kunstfreunde wurden zu außerordentlichen.

Die “Genossenschaft der bildenden Künstler Wiens” von 1861 wurde nicht nur zu der größten und angesehensten Künstlervereinigung Österreichs, sondern für lange Zeit überhaupt zu der einzigen repräsentativen. Jeder Künstler, der in der Monarchie auf Namen und gewisse Bedeutung Anspruch erheben konnte bzw. für sich selbst in Anspruch nahm, gehörte ihr an. Einen Sonderfall bildete Ungarn nach 1867, später auch Böhmen und weitere Kronländer. Die national fühlenden Künstler bildeten nach und nach in ihren Ländern ihre eigenen Organisationen, standen der Wiener Genossenschaft gegenüber aber nie in einer offensichtlichen Opposition. Die Deutsch sprechenden orientierten sich ohnehin an der Wiener Genossenschaft und arbeiteten bis 1918 mit ihr eng zusammen.

In dieser gewaltigen Künstlermasse3 gab es unter den Genossenschaftsmitgliedern natürlich auch schwächere Talente. So hatte es daher nicht allzu viel zu bedeuten, wenn ein Künstler Mitglied der Genossenschaft war, sondern vielmehr, wenn er es nicht war. Was die späteren Aufnahmen (bis heute) allerdings betrifft, darf eines nicht unberücksichtigt bleiben: Alle Aufnahmen waren und sind stets rein subjektive Entscheidungen des jeweiligen Aufnahmekomitees – trotz der oft in starken Worten betonten Objektivität. Immer haben Künstler über andere Künstler entschieden und schon darin lag der Widerspruch. Auch wenn man von unlauteren Motiven, wie Brotneid und Konkurrenzkampf absieht, hat doch jeder Künstler seine eigene Vorstellung von künstlerischer Qualität; was der eine als wahre Kunst ansieht, ist für den anderen entsetzlicher Kitsch. Dazu kommt die geschichtliche Entwicklung des Begriffs Kunst als solchen und die fließende Abgrenzung der Kunst zum Kunstgewerbe.

Nach Ablauf der Funktionsdauer einzelner Komitees und dem Wechsel der Funktionäre konnte die Abstimmung in gleicher Sache also ganz anders ausfallen; so etwa konnten die abgelehnten Künstler schon wenige Monate später von einem anderen Komitee problemlos aufgenommen werden. Was in solchen, einst abgelehnten Künstlern allerdings blieb, war der Stachel, die Bitterkeit bzw. bei nicht mehr wiederholten Aufnahmeansuchen die daraus entstandene Abneigung dem Künstlerhaus gegenüber als Organisation. Dass die Ablehnung der Mitgliedschaft nur von wenigen Kollegen und nicht von der Genossenschaft als Ganzes ausgesprochen wurde, verstanden die allerwenigsten. Einen Ausweg gab es in der Aufnahme in einer der einst zahlreichen Tochtergesellschaften der großen Genossenschaft oder die Einreihung in eine andere Kategorie der Mitgliedschaft. Man musste nicht immer als ordentliches Mitglied figurieren, um im Künstlerhaus verkehren zu können; man konnte es auch als außerordentliches Mitglied, als Teilnehmer, Freund, Förderer, als korrespondierendes Mitglied. Unterschiede gab es allerdings in der Höhe der zu zahlenden Jahresbeiträge.

Zu den ersten außerordentlichen Mitgliedern der Genossenschaft wurden die meisten alten Kunstfreunde des “Albrecht Dürers” – jedoch nicht alle. Vor allem diejenigen, die an der Ausstattung des historischen Vereinssaales auf der Laimgrube4 – heute steht dort an der Ecke Gumpendorferstraße / Laimgrubengasse ein Neubau der Jahrhundertwende 1900 – finanziell beteiligt gewesen waren, wollten auch nach dem Bau eines neuen Künstlerhauses auf dem Glacis gegenüber der Karlskirche und der Übersiedlung der Genossenschaft darin weiter verbleiben. Die Genossenschaft nahm nach der Übersiedlung in das neue Künstlerhaus 1868 dafür noch weitere Kunstfreunde auf, doch blieb ihre Gesamtzahl statutenmäßig auf ein Drittel der ordentlichen Mitglieder beschränkt. In Ausnahmefällen, bei wirklich Prominenten, konnte dieses Drittel auch überschritten werden, jedoch nur nach einem Aufnahmevorschlag von mindestens zehn Mitgliedern und bei der folgenden Abstimmung mit einer Mehrheit von mindestens zwei Dritteln aller Stimmen.

Ehrenmitglieder – aus beiden Vereinen – konnten sowohl Künstler als auch Nichtkünstler sein. Das waren Personen, denen die Genossenschaft “einen Beweis ihrer Hochachtung zu geben wünschte und durch deren Aufnahme sie sich selbst zu ehren beabsichtigte”. Diese aufrichtige Feststellung wurde aus den späteren Statuten entfernt. Die Ehrenmitglieder konnten nur in der Jahreshauptversammlung über einen einstimmigen Vorschlag des Leitenden Ausschusses durch einen Mehrheitsbeschluss der Versammlung ernannt werden. 1861, vor dem offiziellen Zusammenschluss der beiden Vereine “Albrecht Dürer” und “Eintracht” wurden alle Ehrenmitglieder angeschrieben und gefragt, ob sie auch in der neuen Genossenschaft als Ehrenmitglieder verbleiben wollen. Alle wollten; nur der Dresdner Bildhauer Ernst Rietschel war inzwischen verstorben – er war Ehrenmitglied des “Albrecht Dürers” gewesen.
Jeder in Wien lebende Berufskünstler, der in weiten Kreisen als solcher anerkannt war, oder der sich durch Vorlage seiner Arbeiten als solcher ausweisen konnte, hatte 1861 also das Recht zur Aufnahme in die Genossenschaft. Er konnte sich entweder selbst beim Vorstand melden oder sich durch ein Mitglied vorschlagen lassen. Der Leitende Ausschuss hatte dann den motivierten Vorschlag in der nächsten Wochenversammlung zur Kenntnis der Genossenschaft zu bringen. In der nächsten Geschäftsversammlung fand schließlich in Abwesenheit des Kandidaten eine geheime Abstimmung über die Aufnahme statt. Lautete die absolute Stimmenmehrheit für die Aufnahme, so hatte der Beitretende in einer der nächsten Wochenversammlungen in Gegenwart des Ausschusses die Genossenschaftsstatuten und eine Beitrittserklärung zu unterschreiben, worauf er die Bestätigung über seine erfolgte Aufnahme erhielt. Eine Nichterfüllung dieser Bedingung innerhalb von zwei Monaten nach der positiv ausgegangenen Abstimmung hätte eine Nichtigkeit der Aufnahme zur Folge.

Nach der Aufnahme durfte das neue Mitglied ursprünglich zwei Jahre lang nicht austreten; später, nach dem Bezug des Künstlerhauses, auch erst nach einer dreimonatigen schriftlichen Kündigung. Diese Bestimmung war zur Bildung des Vereinsvermögens geschaffen. Zahlte ein Mitglied seinen Beitrag nicht, konnte es nach einem Jahr gemahnt und nach zwei Jahren gestrichen werden. Das Recht auf die Forderung der Rückstände blieb dabei der Genossenschaft gewahrt und sie nützte es durch ihren Rechtsbeistand oft auch. Die von Wien abwesenden Mitglieder waren dagegen von ihren Zahlungen für die Dauer ihrer Abwesenheit – sie benützten ja die Künstlerhauseinrichtungen während dieser Zeit nicht – vollständig befreit.
Ein Ausschluss aus der Genossenschaft konnte nur wegen unehrenhafter oder den Genossenschaftsinteressen zuwiderlaufenden Handlungen vom Leitenden Ausschuss in der Hauptversammlung beantragt werden; über den Ausschluss entschied die Majorität der Hauptversammlung. Der Ausschluss und ebenso der Austritt bedeuteten den Verlust aller Ansprüche auf das Vereinsvermögen und aller anderen Vereinsrechte. Ein Wiedereintritt wurde als eine Neuaufnahme in ihrer ganzen langwierigen Prozedur behandelt; das haben manche Austretenden in einem plötzlichen, kurzfristigen Groll nicht bedacht. Heute wird von einem etwaigen Anspruch der Mitglieder auf das Vereinsvermögen nicht mehr gesprochen; bei der Auflösung der jetzigen Gesellschaft soll das gesamte Vermögen einer ähnlichen gemeinnützigen Organisation zufallen.5

Im Großen und Ganzen gab es in den ersten Jahren der Genossenschaft kaum eine Auslese unter den Interessenten; jeder halbwegs fähige Berufskünstler wurde aufgenommen. Allerdings kein Amateur, kein – wie man damals sagte – Dilettant. Das Recht auf Aufnahme hatten nur Künstler, die sich durch die bildende Kunst “ernährten”, vom Verkauf ihrer Werke lebten bzw. günstige künstlerische Anstellungen oder Daueraufträge hatten. Erst in späteren Dezennien, nachdem die Anzahl der bildenden Künstler wuchs und öfters auch nebenberufliche Künstler um Aufnahme ansuchten, entstand eine mal strengere, mal lockere Selektion mit daraus resultierenden Ablehnungen. In der Regel verlangte man dann vor einer Aufnahme die Teilnahme an drei Jahresausstellungen, die Kollegen wollten sehen, was der Bewerber kann. Die meisten der nebenberuflichen Künstler waren Zeichenlehrer, Professoren und Offiziere; erst später kamen auch Künstler mit anderen Hauptberufen wie Ärzte u. ä. Gegenwärtig spielt der Hauptberuf keine Rolle mehr; die Genossenschaft wurde inzwischen von einer Berufsvertretung zu einem Verein und so werden heute problemlos auch bessere bzw. bekanntere Hobby-Künstler aufgenommen und im Gegensatz dazu auch manche akademisch ausgebildete Berufskünstler mit Magistertitel durch die Fachsektionen (Bereiche) unverständlicherweise abgelehnt.
Man konnte – und kann – in die Genossenschaft als ordentliches Mitglied nur dann aufgenommen werden, wenn man selbst darum ansuchte/ansucht oder von Kollegen als Mitglied vorgeschlagen wurde. Die Formulierung, die man öfters sogar in der guten Fachliteratur liest, “er trat dem Künstlerhaus bei”, ist in ihrer Grundaussage falsch. Man konnte dem Künstlerhaus nicht einfach “beitreten”. Der Künstler konnte nur seine Absicht äußern, dem Künstlerhaus beitreten zu wollen. Wie es dann weiterging, hing nicht mehr von ihm ab, der Aufnahmevorgang konnte sich über Monate, ja Jahre erstrecken, nicht selten endete er auch mit der erwähnten Ablehnung.

Ab Mai 1863 führte man unter den Genossenschaftsmitgliedern neben den ordentlichen und außerordentlichen Mitgliedern auch die Kategorie der Stifter und Gründer ein; jener Mäzene, die den Künstlerhausbau zu bezahlen bereit waren. In den Statuten offiziell anerkannt wurden sie allerdings erst 1872; sie blieben in den Statuten dann etwas mehr als ein Jahrhundert verankert, bis sie in anlässlich der Statutenumbildung vom 22. Dezember 1976 als nicht mehr zeitgemäß gestrichen wurden.
Mit den Statuten vom 17. Juni 1872 wurden ebenfalls die Kategorien der korrespondierenden Mitglieder und der Teilnehmer eingeführt. Zum korrespondierenden Mitglied konnten solche Personen ernannt werden, die an auswärtigen Orten die Interessen der Genossenschaft ehrenamtlich wahrzunehmen und zu fördern bereit waren; gleichzeitig handelte es sich aber doch auch um eine Art Auszeichnung, nicht jeder Künstler konnte das Künstlerhaus in der Fremde vertreten. Ihre Wahl fand in den Monats- und Hauptversammlungen über Vorschlag des Ausschusses nach dem üblichen Wahlmodus statt. Sie zahlten keinen Beitrag. Die korrespondierenden Mitglieder gibt es in den Statuten bis heute.
Abbildung 396. Permanenz-Karte für den Stifter, ca. 1880.

Fortsetzung: Die Teilnehmer

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