Die Bibliothek

Am Beginn der Künstlerhausbibliothek stand ein Legat des am 9. Juli 1865 verstorbenen Malers Carl Rahl. Im Testament vom 28. Juni 1865 bestimmte er unter anderem: “Meine Bibliothek vermache ich der Kunstgenossenschaft in Wien. Dieselbe soll im künftigen Künstlerhause zur Benützung jedes Mitgliedes aufgestellt werden.”1 Da das Atelier Rahl’s rasch geräumt werden musste (Rahl wohnte in Wien Wieden, Feldgasse Nr. 264, heute Theresianumgasse 31 / westliche Ecke der Viktorgasse2), wurde die Bibliothek, bestehend aus 190 Titeln mit etwa 500 Bänden am 9. September 1865 im Namen der „Genossenschaft der bildenden Künstler Wiens“ vom Maler Josef Haßlwander und Bildhauer Franz Mitterlechner übernommen, in zwei Kisten verpackt, versiegelt und in den „Albrecht Dürer Saal“ auf der Laimgrube (Haus Nr. 162, Dr. Alois Stremayr gehörend; stand auf der Ecke der heutigen Gumpendorfer Straße 25 und der Laimgrubengasse 21) gebracht. Mit dem Bau des Künstlerhauses am – späteren – Karlsplatz wurde erst in diesen Tagen begonnen.

Die Bibliothek Carl Rahl’s war nach unseren heutigen Begriffen nicht umfangreich, sie wurde jedoch zum symbolischen Grundstein der künftigen Künstlerhausbibliothek. Die Rahl’sche Bibliothek bestand nicht nur aus Kunstbüchern, sondern beinhaltete vor allem Werke der Allgemeinbildung, aus der Mythologie, Geschichte, Philosophie und Geographie sowie ein 22 Bände umfassendes Künstler-Lexikon von G. K. Nagler. Auch die sogenannte schöne Literatur war darunter, Werke von Goethe, Schiller und antiker Autoren. Auf der Laimgrube wurde die Bibliothek ausgepackt, mit den bereits vorhandenen Büchern aus der „Eintracht“ und dem „Albrecht Dürer Verein“ vereinigt und in eigenen Schränken aufgestellt. Zum Bibliothekar wurde der Kupferstecher Karl B. Post ernannt.

Im Dezember 1868 wurde die Bibliothek in das neue Künstlerhaus in der Lothringerstraße gebracht – die Eröffnungsausstellung war gerade zu Ende gegangen -, provisorisch mit ihren alten Kästen, und im rechten hinteren Eckpavillon (späteres „Makartzimmer“) neben dem „Repräsentationssaal“ (dem späteren „Stiftersaal“) aufgestellt. Um Zeichnungen für neue, erst anzufertigende Schränke wurde der Architekt August Weber gebeten. Seine Entwürfe verzögerten sich allerdings und wurden anscheinend nie abgeliefert. Im Herbst 1871 zeichnete die, dann auch angefertigten, Kästen der Architekt Friedrich Schachner und im September 1872 wurden alle Bücher umgeräumt.3

Ab Dezember 1868 war der Maler Eugen Felix Bibliothekar; während seiner Abwesenheit durfte auch der Schriftführer und Maler Josef M. Aigner den interessierten Mitgliedern die damals noch sehr wertvollen Bücher vorlegen. Zugänglich war die Bibliothek damals täglich bis etwa acht Uhr abends. Außer Haus wurden die Bücher nur an Samstagen entlehnt. Inzwischen hat sich der Bücherbestand durch Widmungen und Ankäufe bedeutend vermehrt. Man abonnierte auch Kunstjournale, zum Teil bekam man sie von den Redaktionen sogar gratis, ähnlich die Tagespresse. Bildende Künstler zu unterstützen war damals eine Ehrenangelegenheit breiter Bevölkerungsschichten. Zur allgemeinen, internen Information der Mitglieder diente eine schwarze Tafel an einer Wand der Bibliothek; dort konnten neben Ankündigungen der Genossenschaft auch private Inserate angeschlagen werden.

Um die gegenseitige Information über das Schaffen einzelner Mitglieder zu verbessern, bemühte man sich im Februar 1872 um die Anlage eines Fotoalbums mit den jeweils neuesten Kunstwerken. Eine Idee, die noch öfters verfolgt, jedoch nie zur Gewohnheit wurde. Für Anschaffungen der Bibliothek wurde ein eigener Fond gegründet, ausgewiesen ab dem Jahresbericht 1867. Er wurde aus der Genossenschaftskassa mit 50 fl., dann mit 150 fl. und schließlich ab 1873 mit 300 fl. jährlich dotiert.

Nach Eugen Felix wurde der Graveur Johann Steinschneider zum Bibliothekar, ab Sommer 1873 bis Jahresende 1874 war es der Maler Wilhelm Vita. Nach ihm kam der Maler Heinrich Otto, ab Herbst 1888 der Kupferstecher Victor Jasper und nach 1894 der Maler Josef Steinling. Für den täglichen Lesedienst wurde ab Dezember 1874 der Genossenschaftsdiener Daniel Müller zugezogen und sein Gehalt um fünf Gulden erhöht. Ende der siebziger Jahre versah Müller bereits selbständig den Bibliotheksdienst, allabendlich zwischen 18.00 und 21.00 Uhr, nach ihm ab 1886 der Diener Johann Skalvi.

Das Interesse an der Bibliothek war in dieser Zeit mangels ähnlicher Einrichtungen in Wien sehr groß; dementsprechend bedeutend war auch ihr Zuwachs. Alle Zeitschriften wurden gebunden, laufend mussten neue Kästen angeschafft werden. Als Lesesaal diente bald auch der mittlere Casinosaal, die Bibliothekskästen standen in beiden gegenüberliegenden Eckpavillons.4 Der mittlere Saal des Casinos, der rechten Galerie im Parterre war allerdings vor allem ein Spielzimmer, wo man Billard, Schach und Karten spielen konnte. So wurde 1884 das Lesen nur an das vordere Eckzimmer beschränkt, das hintere “Makartzimmer” blieb den Kartenspielern vorbehalten.

Anlässlich der Vorarbeiten zur Jubiläumsausstellung 1888 wurde die Bibliothek in den ersten Stock gebracht, in beide Kabinette Tür Nr. 92/95 („Stachezimmer“) und Nr. 96 seitlich des ursprünglichen „Stiftersaales“, der nun als Lesesaal diente. Gleichzeitig wurde das Casino vom Parterre in eine der Seitengalerien im ersten Stock verlegt.5

Anlässlich der Internationalen Ausstellung 1894 wanderte die Bibliothek zu den geselligen Tochtergesellschaften in das Souterrain; sie wurde um diese Zeit bereits weniger frequentiert. Als Lesesaal dienten die Restauranträume. Trotzdem wurden nach wie vor für Neuanschaffungen jährlich 300 fl. bewilligt und nach Bedarf immer wieder neue Schränke angeschafft. Nur die bisher übliche Renumeration für den Bibliotheksdiener wurde 1897 zum ersten Mal abgelehnt.

Obwohl schon 1896 die Feuchtigkeit des Souterrains bemängelt wurde, blieb dort die Bibliothek bis 1906. 1901 wurde zwar schon ihre Aufstellung an ihrem ursprünglichen Aufstellungsort von 1868 – im „Makartzimmer“ – vorgeschlagen, doch da dieses Zimmer durch die inzwischen errichteten Künstlerhauszubauten zu einem Durchgangsraum geworden war, kam es nicht dazu. 1906 stellte man die Bibliothek im “Stachezimmer” im ersten Stock auf, also dort, wo sie auch schon 1888-1894 war. Damals wurden speziell für sie neue, hochmoderne amerikanische Rollbalkenschränke angeschafft.6 Benützbar war die Bibliothek allerdings nur noch zweimal wöchentlich zwischen 18.00 und 20.00 Uhr. 1909 legte der Beamte Rudolf Hronitschek einen Zettelkatalog an.

Bereits im Juni 1908 sprach man sich wieder für eine neuerliche Verlegung der Bibliothek aus, näher zu dem sich inzwischen wieder im Parterre befindlichen Casino. Das Casino und die Bibliothek gehörten zusammen, sie bildeten den geselligen und intellektuellen Treffpunkt der Mitglieder und ihrer Freunde. Im Herbst 1913 wollte man die Bibliothek im „Makartzimmer“ haben; im Oktober 1913 wurde jedoch beschlossen, sie im gegenüberliegenden „Müllerzimmer“ unterzubringen.7

Während des Ersten Weltkriegs wurde aus dem „Müllerzimmer“ ein Wäschedepot des im Künstlerhaus befindlichen Lazaretts; die Bücherkästen wanderten wieder in das Souterrain. Der Bibliothekar Josef Steinling, der die Bibliothek über zwanzig Jahre betreut hatte, starb im Juni 1915. Zu seinem Nachfolger wurde der Graphiker Alfred Cossmann ernannt. Die Bibliothek befand sich den Zeitumständen entsprechend nicht im allerbesten Zustand, daran konnte auch der künstlerisch sehr beschäftigte Cossmann nicht viel ändern. Im Dezember 1918 bot sich der Architekt Carl Seidl an, Cossmann beim Neuaufstellen der Bücher zu helfen; doch es blieb beim Versprechen.

Im Mai 1921 wurde der Maler Josef Köpf zum neuen Bibliothekar ernannt, legte aber diese ehrenamtliche Stelle bereits im Oktober 1921 wieder zurück. Auch dessen Nachfolger, der Maler Jehudo Epstein, stellte sich ursprünglich die Aufgaben eines Bibliothekars leichter vor und nach kurzer Zeit winkte auch er wieder ab. Erst im April 1922 wurde ein Bibliothekskomitee – bestehend aus den Malern Leo Delitz, Jehudo Epstein, Albert Janesch8 und dem ao. Mitglied Hermann Reuther – gebildet, das bis zum Oktober 1922 die Bücher neu ordnete. Im November 1922 begann der Ausleihdienst, diesmal nur einmal wöchentlich, donnerstags zwischen 17.00 und 18.00 Uhr. Betreut wurde er vom ehemaligen Diener des verstorbenen Malers Alois H. Schram, Josef Dieckmann, dem man auf diese Weise eine, wenn auch nur gering bezahlte Beschäftigung bot. Die Bibliothek befand sich wieder im rechten vorderen Eckpavillon, Tür Nr. 79/80.9 Doch die Zeiten hatten sich geändert, an Neuanschaffungen war aus finanziellen Gründen nicht mehr zu denken, die Kunstzeitschriften wurden nicht mehr gebunden. Im Februar 1923 dachte man an die Einführung von Leihgebühren; aus kollegialen Gründen ließ man davon jedoch ab, obwohl diese Idee später noch mehrmals zur Sprache kam.

Im Februar 1926 wurden auf Vorschlag von Albert Janesch hundert Schilling zum Ankauf neuer Belletristik vom Ausschuss bewilligt und im Oktober 1926 trat auf Vorschlag des Bildhauers Anton Endstorfer das Künstlerhaus der “Deutschen Buchgemeinschaft” bei. Bibliothekar war ab dem Sommer 1924 der Teilnehmer Dr. Erwin Bobrowsky, dem dafür sein Teilnehmerbeitrag erlassen wurde. Gegen Mitte der dreißiger Jahre ließ der Besuch so nach, dass von einem regelmäßigen Dienst keine Rede mehr sein konnte. 1935 gab es einen Vorschlag zur Umgestaltung der Bibliothek; die wenigen Entlehnungen besorgte damals bis zu seinem Tod der Maler Ernst Payer. Zwischen Mai und November 1937 kümmerte sich wieder Dr. Erwin Bobrowsky um die Bücher.10 Nachdem er aus Zeitmangel seinen Dienst zurückgelegt hatte, wurde unter der Einführung von Albert Janesch der Maler Viktor Pipal zum neuen Bibliothekar bestimmt. Im Herbst 1942 wurde die Bibliothek vom Parterre in den ersten Stock verlegt, in das kleine Kabinett Tür Nr. 96 links vom alten Stiftersaal, wo sich schon einmal Teile davon befunden hatten. Damals wurden die noch heute bestehenden Holzeinbauten ausgeführt. Zu Kriegsende, als im Präsidentenzimmer, dem alten Stiftersaal, eine Elektrowerkstätte eingerichtet wurde, musste der Bibliotheksdienst entfallen; der Großteil der Bücher wurde im Keller deponiert.11

Erst im Jänner 1948 sprach man wieder von einer Reaktivierung der Bibliothek. Der Maler Ing. Rudolf Haybach erklärte sich bereit, den Dienst von Viktor Pipal zu übernehmen. Doch dann ging Haybach zur neu gegründeten Secession über und der Gedanke einer Bibliothek schlief wieder ein. Das kleine Kabinett lag abseits; das alte Bibliothekszimmer im Parterre verwendete man jetzt für Ausstellungen, als Büro für Viktor Slama und auch als Sitzungszimmer.12 Im Frühjahr 1952 nahm der Schriftsteller Mirko Jelusich die Bibliothek in seine Obhut, wollte sie „entstauben“ und neu ordnen. Auch ein Entlehndienst wurde angekündigt, jeweils am Montag zwischen 15.00 und 17.00 Uhr.13 Doch die Bücher befanden sich zum Großteil immer noch im Keller. Jelusich resignierte; anscheinend erwartete er eine geistige Tätigkeit und nun müsste er sich mit einer schweren körperlichen Arbeit belästigen. So bot sich der Bildhauer Rudolf Schmidt zur Unterstützung Jelusichs an. Und dann passierte ein Vorfall, der schwer zu verstehen ist und der den Archivar Prof. Dr. Walter M. Neuwirth zehn Jahre später zum Anlegen einer – von ihm so beschrifteten – “Buch-Skandal-Mappe” veranlasste.

Die Bibliothek war im Laufe der Zeit durch Ankäufe, Schenkungen und Legate zu einem ansehnlichen Bestand herangewachsen. Abgänge waren gering: durch den natürlichen Weg alles irdischen, einige wenige nicht zurückgebrachte Entlehnungen14 und mehrere Diebstähle nach Kriegsende 1945. Wie in jeder anderen Bibliothek gab es Werke, die oft gelesen und verlangt wurden, und Bücher, die kaum benutzt wurden. So hatte man 1953 zwei getrennte Bestände: eine kleine Handbibliothek im Kabinett links des Präsidentensaals – dem späteren „Ranftlzimmer“ – und ein Bücherdepot im Souterrain. Im September 1953 beschloss der Leitende Ausschuss, die Bestände im Souterrain zu verkaufen.

Es ist heute nicht mehr eruierbar, von wem damals die Initiative ausging. Tatsache bleibt nur, dass Mitte September 1953 der Antiquar Heinrich Hinterberger, Hegelgasse 17, die Bücher besichtigte und diejenigen, die ihn am meisten interessierten zum Verkauf übernahm; er schätzte den für das Künstlerhaus zu erwartenden Erlös auf drei tausend Schilling. Von seiner Seite aus gesehen, war die Transaktion korrekt. Hinterberger übernahm alle Bücher jeweils in kleineren Mengen in Kommission und verkaufte sie nach und nach. Stets mit Listen und Katalogen; der Verkauf dauerte sechs Jahre, das Künstlerhaus blieb bis 1959 mit Hinterberger in geschäftlicher Verbindung. Während dieses Zeitraumes wurden alle wertvolleren, seltenen Kunstbücher verkauft, der gesamte Bestand alter Drucke des 17., 18., 19 und des beginnenden 20. Jahrhunderts, hauptsächlich Tafelwerke. Hinterberger war nicht an moderner Literatur in der Art der Buchgemeinschaften interessiert, sondern an seltenen kunstgeschichtlichen, geschichtlichen und geographischen Werken, gebundenen Kunstzeitschriften, Atlanten, Katalogen und Lexika.

So verkaufte das Künstlerhaus zwischen 1953 und 1959 nicht nur Boettichers Malerwerke, alle Bände des Kronprinzenwerkes – der Österreichisch-Ungarischen Monarchie, Otto Wagners Bauwerke, Worpsweder Holzschnitte, Prunkmappen mit Abbildungen historischer Begebenheiten wie dem “Caroussel zur Anwesenheit I. K.K. Majestät in Prag 5. Juni 1854″, Schinkels Werke zur höheren Baukunst, Holzschnitte Albrecht Dürers, Werke von Piranesi, Palladio, fünf Bände eines Monogramm-Meister-Lexikons, ein allgemeines Lexikons von 1779, Publikationen von Knackfuß, Mappen mit Werken von Tina Blau, Leopold Munsch; Alben und persönliche Diplome aus Legaten Rahl und Ranftl. Verkauft wurde auch ein Konvolut von Schach-Literatur des 17. bis 19. Jahrhunderts.

Hinterberger behielt die im Buchhandel übliche 50 % Provision. Da er aber nur besterhaltene Exemplare verrechnete und geheftete, zerrissene, unvollständige oder sonst beschädigte Werke sogar im Einverständnis(!) des Künstlerhauses makulieren ließ, war der im Laufe der Jahre erzielte Erlös äußerst fragwürdig. Dazu kam, dass man von Hinterberger selbst neue, gerade erschienene Publikationen in Gegenverrechnung ankaufte, die in die Handbibliothek im ersten Stock eingereiht wurden.15 So brachte diese – damals allerdings voll im Trend liegende, man denke nur an die abgeschlagenen historischen Fassaden Wiens – “Verjüngung” dem Haus praktisch nur Schaden. Der wertvollen Ausgaben war man los und die Regale mit Belletristik und Neuerscheinungen, die sich ohnehin in vielen anderen öffentlichen Bibliotheken befanden, vollgefühlt. Jelusich, der als Verantwortlicher ein Veto einlegen hätte können, war selbst nur an der sogenannten schönen Literatur interessiert; Verhandlungspartner von Hinterberger war im Auftrag des Ausschusses der Bildhauer Rudolf Schmidt.

Anlässlich der Renovierung des Ranftlzimmers 1955 wurde die benachbarte Bibliothek Türnr. 96 durch die Tochter Rudolf Schmidts, Fräulein Hermine Schmidt durchgesehen und neu aufgestellt. Während des folgenden Jahres erwarb man 250 neue Werke. Für diesen Zuwachs wurden 1957 neue Aufsatzstellagen geschaffen und 1958 eine Leiter auf Laufschienen von der Firma Just um 2500 öS montiert.16 Auf solche Weise hatte man in diesen fünfziger Jahren die wirklich wertvolle Bibliothek, die einst zur Bildung, Information und Anregung allen Mitgliedern diente, durch eine moderne, meist belletristische Bibliothek ersetzt. Dementsprechend geringer wurde das Interesse der Mitglieder; gegen 1960 bestand überhaupt keinen Bibliotheksdienst mehr.

Mit dem 1. Jänner 1962 übernahm Prof. Dr. Walter M. Neuwirth die Bibliothek zusammen mit dem Archiv. Neuwirth legte ein neues Inventar an und wollte die Bibliotheksabende wieder einführen. Das Echo war jedoch gering, nur selten wurde ein Buch entlehnt und noch seltener zurückgebracht. Neue Bücher wurden in dieser Zeit nicht mehr angekauft. Trotzdem gab es Zuwachs durch das Legat des Malers Hans Strohofer (+ am 17. Mai 1961) und durch einige Schenkungen. Um die Widmungen anzukurbeln, sollte nach einem Vorschlag Neuwirths vom Mai 1963 den Spendern durch einen eigenen Stempel im betreffenden Buch jeweils gedankt werden.

Nachdem Prof. Neuwirth 1972 aus Altersgründen seine Funktionen als Archivar und Bibliothekar zurückgelegt hatte, übernahm auch die Bibliothek sein Nachfolger. Einen regelmäßigen Bibliotheksdienst gab es seit Jahren nicht mehr und er wurde auch nie mehr erneuert. Stattdessen widmete sich der neue Archivar der Sicherung der im ganzen Künstlerhaus immer noch verstreuten Bestände. Durch das Zusammentragen wurde das kleine Kabinett (Tür Nr. 96) bald überfüllt, sodass auf Vorschlag der mit diesem Problem konfrontierten Frau Generalsekretär Inge Zimmer-Lehmann der Präsident, Architekt Univ. Prof. Dr. techn. Karl Kupsky, die Ausscheidung der Belletristik und ähnlicher Werke außer Kunstbüchern anordnete. Die Bibliothek sollte einen zum Künstlerhaus habenden dokumentarischen Charakter bekommen; so wurden etwa durch Mitglieder illustrierte Romane behalten. Die ausgeschiedenen Bücher, darunter auch Kataloge und Dubletten, wurden in alter Tradition der Künstlerverlassenschaften an interessierte Mitglieder durch das Sekretariat direkt verkauft.17

1977-1978 wurde die Bibliothek im Rahmen eines vom Präsidenten Hans Mayr angeregten Forschungsauftrags des BMfWF durch Dr. Helmut Buchhart, Beamter der Österreichischen Nationalbibliothek, neu aufgenommen, inventarisiert und mit den Beständen der ÖNB verglichen. Zu einer damals erörterten Teilung der Bestände und teilweisen Übergabe an die Bibliothek der Akademie der bildenden Künste kam es nicht, da die Bibliothek auf Initiative des Archivars zusammen mit dem Künstlerhausarchiv am 21. Dezember 1978 vom Wiener Stadt- und Landesarchiv zur Sicherung und Weiterbetreuung als Dauerleihgabe übernommen wurde. Das leergewordene Kabinett neben dem Ranftlzimmer wurde anschließend vom Präsidenten Hans Mayr als sein Privatbüro benützt, nach seinem Ableben 1993 fallweise als Büro zur Vorbereitung von Ausstellungs-Großprojekten sowie der WINK-Initiative.

Im Zentraldepot des Wiener Stadt- und Landesarchivs, 1070, Kandlgasse 30, wohin die Künstlerhausbibliothek mit dem Künstlerhausarchiv kam, wurde die Bibliothek, die ohnehin bereits Dokumentarcharakter hatte, mit dem Künstlerhausarchiv vereinigt und nach archivalischen Prinzipen eingeordnet. Die im Format und Ausstattung recht unterschiedlichen Kunst-Ausstellungskataloge liegen alphabetisch geordnet in Mappen und in Archivkartons, ähnlich auch die Künstlermonographien in den biographischen Mappen. Die Bibliotheksbestände, hauptsächlich handelt es sich um Ausstellungskataloge und Monographien, wurden auch weiterhin vom Künstlerhaus ergänzt, vor allem durch Werke aus dem Schriftenaustausch, durch Schenkungen und Belegexemplare; nur in äußerst seltenen Ausnahmefällen durch Ankäufe. 1993 kam ein Legat des Präsidenten, Fotograf Prof. Dr.Dr.h.c. Hans Mayr, hinzu. Seit 1993 verbleiben die Zuwächse im Künstlerhaus, wo sie bereits eine umfangreiche Handbibliothek der zeitgenössischen Kunst bilden. Aktuelle Kunstzeitschriften werden durch das Künstlerhaus aus finanziellen Gründen nicht angekauft.

Benützt wird die Bibliothek, die es nun im althergebrachten Sinn nicht mehr gibt – es gibt keine Bücherregale mit nach Format und Signaturen eingeordneten Werken – kaum durch eigene Mitglieder der Gesellschaft, sondern vielmehr durch die sonstigen, historisch interessierten Benützer des Wiener Stadt- und Landesarchivs: durch Studenten, Kunsthistoriker, Kunsthändler und Kunstsammler. So wurde die in das Künstlerhausarchiv integrierte Bibliothek wieder zu einem benutzbaren, wichtigen kunsthistorischen Bestand, diesmal der zeitgenössischen Kunst der ganzen Welt. Durch die veränderte Ausstellungslinie des Künstlerhauses unter Präsident Hans Mayr wird vielleicht die letzte Literatur des zerfallenden „Ostblocks“ demnächst besonders interessant werden.

Literatur:

  • Wladimir Aichelburg: Das Künstlerhausarchiv, in: Jahrbuch der Heraldisch-Genealogischen Gesellschaft “Adler”, Wien 1981, S. 107-121.
  • Wladimir Aichelburg: Das Wiener Künstlerhaus 1861-1986, 125 Jahre in Bilddokumenten, Kunstverlag Wolfrum, Wien 1986.
  • Wladimir Aichelburg: Das Künstlerhaus und seine Künstler, Reihe Historisches Wien, Hrsg. Felix Czeike, Europäische Bibliothek, Zaltbommel, Niederlande 1994.
  • Wladimir Aichelburg: Das Künstlerhausarchiv, in: Wiener Geschichtsblätter, Wien 1997, Nr. 1, S. 53-54.
  • Wladimir Aichelburg: Das Wiener Künstlerhaus 1861 – 2001, Band I.: Die Künstlergenossenschaft und ihre Rivalen Secession und Hagenbund, Österreichischer Kunst- und Kulturverlag Wien 2002.
  • Wladimir Aichelburg: Schätze aus dem Künstlerhausarchiv, Veröffentlichungen des Wiener Stadt- und Landesarchivs, B, Ausstellungskataloge Heft 68, Wien 2004.
  • Felix Czeike (Hrsg.): Historisches Wien-Lexikon, Kremayr & Scheriau, Band 3, Wien 1994, S. 639-643.
  • Ferdinand Opll: Geschichte des Wiener Stadt- und Landesarchivs, Wien 1994, S. 45.
  • Tätigkeitsberichte des Wiener Stadt- und Landesarchivs, Heft 1976-1980, Wien 1981, S. 17,
  • 1981-1985, Wien 1986, S. 11,
  • 1986-1990, Wien 1992, S. 22,
  • 1991-1995, Wien 1997, S. 22-23,
  • 1996-2000, Wien 2002, S. 28-29.
  • 2001-2005, Wien 2006, S. 48.

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